Radevormwald Rückkehr, wenn die Heimat sicher ist

Radevormwald · Yousef Yaghmour, ein Flüchtling aus Syrien, berichtete in der Martini-Gemeinde über seine Heimat und sein Leben.

 Yousef Yaghmour ist 2014 aus Syrien geflohen und nach Radevormwald gekommen. Im vergangenen Jahr kam die Familie nach. Neue Freunde fand er in der Martini-Gemeinde.

Yousef Yaghmour ist 2014 aus Syrien geflohen und nach Radevormwald gekommen. Im vergangenen Jahr kam die Familie nach. Neue Freunde fand er in der Martini-Gemeinde.

Foto: Nico Hertgen

Auf großes Interesse stieß die Präsentation von Yousef Yaghmour in der Martini-Gemeinde: Der 35-jährige Syrer, studierter Maschinenbau-Ingenieur und zuletzt im Management einer Öl-Firma in Syrien tätig, musste vor gut zwei Jahren seine Heimat verlassen. Seit November 2014 lebt er in Radevormwald und hat in der Martini-Gemeinde Anschluss und Hilfe gefunden. Jetzt gab er dort einen Einblick in die bewegte Geschichte seines Landes, er versuchte zudem, den Syrien-Konflikt aus seiner Sicht darzustellen und zu erklären. Etwa 80 Gäste hörten ihm aufmerksam zu.

Yousef Yaghmour verkörpert zwar nicht das Bild eines typischen Flüchtlings, er hat dennoch einen schwierigen Weg hinter sich: Von seiner Heimat nahe der syrischen Hauptstadt Damaskus floh er vor zwei Jahren mit seiner Frau und den drei Kindern (zehn, acht und vier Jahre) nach Istanbul. In einer kleinen Mietwohnung kamen sie unter. In Sicherheit ließ er seine Familie zurück und reiste alleine, im Flugzeug, nach Deutschland weiter, denn die Konditionen waren für den kurdischen Yaghmour auch in der Türkei gefährlich: "Meine Kinder durften den Kindergarten und die Schule nicht besuchen. Und hätten die Behörden erfahren, dass wir eine syrische Familie sind, hätten sie uns in eines dieser Camps gesteckt, wo die Lebensbedingungen sehr schlecht sind", berichtete der Familienvater. Nach zähen Auseinandersetzungen mit den deutschen und türkischen Behörden gelang es dem Familienvater im Oktober letzten Jahres, Frau und Kinder nachzuholen.

"Wer Yousef kennt, weiß, dass er ein geduldiger und bescheidener Mann ist", beschrieb ihn Pfarrer Johannes Dress zu Beginn der Veranstaltung. Doch irgendwann hielt es auch der geduldige Yaghmour nicht mehr aus. Mit Hilfe von Spenden aus der Gemeinde und Bürgern der Stadt flog er in die Türkei, um vor Ort alle nötigen Passangelegenheiten zu klären und den Vorgang zu beschleunigen. In der Gemeinde, wo er so viel Hilfe erfahren und viele freundliche Leute kennen und schätzen gelernt hat, erzählte er gut eine Stunde über sein Heimatland. Ein Land, das halb so groß wie Deutschland ist und bis vor dem Ausbruch des Krieges 23 Millionen Einwohner zählte. "Bis heute sind etwa vier Millionen Syrer aus ihrer Heimat geflohen", berichtete Yaghmour. Etwas mehr als die Einwohnerzahl in ganz Berlin.

Über das syrische Familienleben und ihre Werte erzählte er: "Die Familie ist in der syrischen Gesellschaft das Wichtigste." Loyalität zur Familie bestimme die wirtschaftliche, soziale und politische Stellung des Einzelnen. Ältere Generationen bleiben ein Leben lang bei der Familie. "Altenheime gibt es nicht." Der Mann ist das Oberhaupt, die Frau erhält einen besonderen Status als Mutter. Arrangierte Ehen seien in Syrien weit verbreitet, Scheidungen dagegen sehr selten. Bei Hochzeiten zahle die Familie des Bräutigams einen "Brautpreis". "Der beginnt bei 100.000 Euro", sagte Yaghmour - ein erstauntes Raunen ging durch die Reihen der Zuhörer. Der 35-Jährige reagierte darauf: "Frauen sind in Syrien eben sehr wertvoll."

Über den Verlauf und die Gründe des Konflikts, der mit der Ausbreitung des revolutionären Gedankens des arabischen Frühlings 2011 begann, sagte er, dass es ein Kampf zwischen mehreren Parteien sei, die allesamt Kriegsverbrechen begangen hätten: Syrer gegen das Assad-Regime, Syrer gegen Syrer und verschiedene Regime und Regierungen gegeneinander. "Eigentlich ist es ein Weltkrieg", fasste Pastor Dress am Ende zusammen. Er lobte den Vortrag als sachlich-klar.

In einer weiteren Stunde nutzten Zuhörer die Gelegenheit für Fragen. "Können sich eigentlich nur reiche Syrer die Flucht leisten", fragte beispielsweise einer der Besucher, was der 35-Jährige verneinte. Nach Europa, die kostspieligere und gefährlichere Fluchtvariante, kämen nur zehn Prozent der syrischen Flüchtlinge. Die meisten blieben in Nachbarländern wie Libanon oder Jordanien. Ein anderer wollte wissen, ob Yaghmour auch nach dem Krieg in Radevormwald bleiben würde. Seine Antwort war deutlich. Er fühle sich zwar wohl in Radevormwald, sagte aber auch: "Ich habe mein Land nicht verlassen, weil ich wollte, sondern weil ich musste. Deswegen würde ich gerne zurück, sobald es wieder sicher ist."

(RP)
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