Konkurrenz zu Altena Steht die weltweit älteste Jugendherberge in Radevormwald ?

Radevormwald · Historiker Kalle W. Holzfuß hat in der Geschichte des Jugendherbergswerks geforscht. Sein Ergebnis: Radevormwald hatte die erste Jugendherberge der Welt. Im August 1910 stellte die Stadt den Flur der Rektoratsschule zur Verfügung.

 Die An- und Abreisetage größerer Gruppen, besonders von Schulklassen, sind an der Telegrafenstraße in Radevormwald immer mit viel Trubel bei der Vergabe der Zimmer verbunden.

Die An- und Abreisetage größerer Gruppen, besonders von Schulklassen, sind an der Telegrafenstraße in Radevormwald immer mit viel Trubel bei der Vergabe der Zimmer verbunden.

Foto: Nico Hertgen (Archiv)

"Radevormwald hat die zweitälteste Jugendherberge der Welt." Dieser Satz hat sich über Jahrzehnte gehalten. Als Ursprung der Jugendherbergsbewegung gilt die Herberge in Altena, die vom Ideengeber Richard Schirrmann gebaut worden ist.

Diese bisher bekannten Informationen hat vor einiger Zeit Historiker Kalle W. Holzfuß in einer Dissertation widerlegt. "Die erste Jugendherberge, die entstehen sollte, war Radevormwald", schreibt er. Die Aussage, Altena habe den Ursprung, sei der Jugendherbergsfolklore von Richard Schirrmann geschuldet. Zwar habe dieser ab 1907 die Schüler- und Studentenherberge betreut, dies bezog sich aber auf Räume, die er suchte, wenn dafür genutzte Räume in einem Hotel ausgebucht waren. Von einer Nutzung als Jugendherberge im neuen Sinne könne aber erst im Jahr 1910 gesprochen werden.

Der Autor beruft sich auf Aufzeichnungen unter anderem auch aus Radevormwald. Der damalige Direktor der Rektoratsschule in Radevormwald (wohl heutige Lindenbaumschule) hatte sich im Frühjahr 1910 mit dem Thema Jugendherberge intensiv befasst. Seit Jahren hatte Richard Schirrmann versucht, seine Idee der Schaffung von Übernachtungsmöglichkeiten für Schüler, Jugendliche und andere Leute ohne viel Geld publik zu machen und Leute zu finden, die die Ideen umsetzen wollten.

Das Jahr 1909 wird deshalb auch als Jahr der Gründung der Volksschülerherberge bezeichnet, schreibt Holzfuß. Altena nahm die Idee, die wohl auf einer Jahresversammlung des Sauerländischen Gebirgsvereins vorgetragen worden ist, nicht sofort auf. Man sah die Gefahr, dass Lehrer durch Einrichtung solcher Herbergen zu Hausmeistern degradiert würden. Schirrmann hatte demnach vorgeschlagen, in den Ferien leere Räume von Schulen für Übernachtungen zu nutzen.

Der Rader Direktor Dr. Emil Spratte dagegen nahm die Idee 1910 im Frühjahr auf. Bei der Provinzialversammlung des Westfälischen Lehrervereins lernte Spratte die Ideen von Richard Schirrmann kennen und scheint von ihnen begeistert gewesen zu sein.

Unter dem 20. Juli 1910 soll Spratte an Schirrmann geschrieben haben, dass er den Artikel über Schulwanderungen mit großem Interesse gelesen habe. Er selber wandere auch mit seinen Schülern, und die Idee der Nutzung der Schulen als Jugendherbergen habe ihn so fasziniert, dass er sie sofort in seiner Schule umsetzen werde. "Ich werde hier sofort in die nötige Agitation eintreten, und ich bin sicher, die nötigen 180 fl. in ganz kurzer Zeit beisammen zu haben. Wir haben hier im Souterrain den Zeichensaal mit zusammenlegbaren Tischen, so daß leicht ein Schlafraum daraus zu machen ist." In kurzer Zeit wollte Spratte melden, dass 15 Schüler ein Nachtlager für 0,25 fl. bekommen könnten.

In einem kurzen Bericht 1929 zur damaligen Eröffnung des Hauses an der Telegrafenstraße schrieb der Direktor in der Zeitschrift "Die Jugendherberge", woher er das Geld bekommen hatte. "Die Stadtverordneten in Radevormwald faßten im August 1910 folgenden Beschluß: ,Dem Gesuch des Rektors Spratte zu genehmigen, daß zur Errichtung einer Jugendherberge der Flur der Rektoratsschule während eder Ferien mit Betten belegt und ihm ein für die Errichtung verausgabter Betrag von 10 Mark erstattet werde, wird entsprochen. Gleichzeitig wird, seinem Antrag gemäß, das Bettzeug, welches von einem Förderer der Sache geschenkt worden ist, in das Eigentum der Stadt hiermit übernommen'." Holzfuß schreibt, dass die Jugendherberge noch im August eröffnet worden ist und das ganze Jahr über für Wanderer geöffnet war. 1911 folgten dann zahlreiche andere Kommunen, die Häuser zur Verfügung stellten.

Aus den Unterlagen des Jugendherbergsverbandes geht hervor, dass Rade 1911 120, 1912 257 und 1913 378 Übernachtungen hatte. 1930 nach der Eröffnung des Hauses 1929 zählte man 8763 und 1931 bereits 10 466 Übernachtungen.

Claudia Weber, die die Jugendherberge seit der Wiedereröffnung nach der großen Renovierung mit Bau des Nebenhauses und gläsernen Übergangs im April 2002 leitet, sagt zu den neuen Erkenntnissen, dass man das beim Rheinischen Jugendherbergswerk bisher nicht an die große Glocke gehängt habe. "Es ist zwar schön, aber wichtiger ist, dass wir so attraktiv sind und bleiben, dass die Übernachtungszahlen auch in Zukunft so sind, dass das Haus dauerhaft gesichert bleibt", sagt sie. Geschichte alleine verkaufe keine Betten, obwohl zahlreiche Gäste schon wüssten, dass sie in einer der ältesten Jugendherbergen der Welt übernachten.

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