Neuss Wovon die Menschen träumen

Neuss · Nina de la Parra hat "[ungefähr gleich]" von Jonas Hassen Khemiri am RLT inszeniert.

 Rainer Scharenberg, Katharina Dalichau, Pablo Guaneme Pinilla, Hergard Engert, Anna Lisa Grebe, Alina Wolff und Christoph Bahr (vl.) geben den Figuren in Jonas Hassen Khemiris Stück "[ungefähr gleich]" Gestalt und Stimme.

Rainer Scharenberg, Katharina Dalichau, Pablo Guaneme Pinilla, Hergard Engert, Anna Lisa Grebe, Alina Wolff und Christoph Bahr (vl.) geben den Figuren in Jonas Hassen Khemiris Stück "[ungefähr gleich]" Gestalt und Stimme.

Foto: Björn Hickmann

In diesen Genuss kommen Theaterbesucher selten: Schoko-Bonbons werden verteilt. Nicht 249 mal, also nicht an jeden, der an diesem Abend die RLT-Premiere des Stücks "[ungefähr gleich]" von Jonas Hassen Khemiri besucht, aber sozusagen stellvertretend an einige. Als Versprechen, ein "unvergessliches Erlebnis" zu liefern? Oder als Bestechung, um nach 90 Minuten zu dem Schluss zu kommen, dass die Investition von im Schnitt 22 Euro Eintrittsgeld im Verhältnis zum Unterhaltungswert gelungen ist?

Mit diesem "Van-Houten-Theorem" schlägt sich vor allem Mani (Rainer Scharenberg) herum. Der Dozent für Wirtschaftsgeschichte lebt mit Martina (Katharina Dalichau) zusammen, die offensichtlich aus einer reichen Familie stammt, aber in einem Tabakwarengeschäft arbeitet, um das Leben der Familie (mit Tochter) mitzufinanzieren.

Dort bekommt auch Andrej (Pablo Guaneme Pinilla) einen Job, obwohl er mal auf was Besseres gehofft hat. Freja (Hergard Engert) dagegen hat ihren Job verloren und rebelliert auf ungewöhnliche Art. Nur Peter (Christoph Bahr) ist anders, zeigt wie man sich mit seinem Schicksal abfindet: Als Obdachloser weiß er den Vorbeigehenden das Geld aus der Tasche zu ziehen.

Die Schauspieler hat Ausstatterin Jutta Bornemann in zarte Pastelltönen gekleidet, die bestens zu den Träumen der Menschen passen und so gar nichts mit der harten Realität zu tun haben. Aber wie hart sie ist, schält Regisseurin Nina de la Parra scheibchenweise aus dem Stück, so dass am Ende wohl kaum einer im Zuschauersaal noch denkt: Wie süß die sind!

Gebeutelt sind sie. Auch wenn es anfangs wirkt, als ob jede Figur nur ihre eigene Geschichte hat und erzählt, zeigt sich im Verlauf die alles verbindende Gemeinsamkeit. Jeder von ihnen hofft auf ein besseres Leben, vor allem mit mehr Geld und und einem festen Job.

Unter der Regie von Nina de la Parra verweben sich die Geschichten zu einem Spinnenetz, in dem sich Mani und Co. verfangen. Die Fäden kreuzen sich oder werden verknüpft. Dabei ist es klug und geschickt zugleich, dass de la Parra und Dramaturgin Alexandra Engelmann das Stück gestrafft, Figuren rausgeschrieben haben und alles in einem Rutsch inszenieren. So entwickelt der Abend trotz der anfangs stark künstlichen Figurenzeichnung und bei aller Ironie auch eine menschliche Tragik. Manches Mal kommt dieser nur der Sarkasmus bei - was das komplette Ensemble (um Anna Lisa Grebe und Alina Wolff ergänzt) wunderbar ausspielt.

Die Inszenierung bewegt sich auf einem schmalen Grat, ist kühle Laboruntersuchung und emotionale Wiedergabe einer bedrückenden Realität zugleich. Perspektiv-, Personen- und Ortswechsel mögen nur anfangs ein bisschen wirr erscheinen, mit der Zeit lässt sich ihnen folgen, und es ergibt sich eine Schlüssigkeit, die in wie zufällig wirkenden, aber irgendwie auch zwingenden Begegnungen der Figuren gipfelt.

Dass diesen Menschen und ihren Geschichten eine Spannung innewohnt, der Bogen bis zum Schluss hält, ist allemal der klugen Regie und den wunderbaren Schauspielern zu verdanken.

(hbm)
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