Interview Uschi Baum "Wird jemand straffällig, soll er gehen"

Neuss · Uschi Baum von der Flüchtlingshilfe Kaarst legt nicht erst seit "Köln" Wert darauf, Zuwanderern hiesige Werte zu vermitteln.

Frau Baum, morgen startet die Karnevalssession in die "heiße Phase". Sind Sie nach den Silvester-Vorfällen in Köln nervös?

Uschi Baum Ich bin nicht so locker und entspannt wie sonst, würde aber jedem empfehlen, ruhig nach Köln zu fahren. Bei 2500 Polizisten im Einsatz muss man sich wenig Sorgen machen.

Wurden die Flüchtlinge in Kaarst auf Karneval und angemessene Verhaltensweisen vorbereitet?

Baum Hier in Kaarst, so hat man uns mitgeteilt, hat Susanne Enkel (von der Psychosozialen Beratung für Flüchtlinge, Anm. der Redaktion) die Flüchtlinge aufgeklärt. Informationen gibt es außerdem im Internet auf der Facebookseite www.facebook.com/ToDoForRefueegesAtKaarst, auf die wir jeden aufmerksam machen, den wir treffen. Zudem hat die Bezirksregierung eine Handlungsempfehlung in drei Sprachen herausgegeben, die wir auf die Internetseite und die Facebookseite der Kaarster Flüchtlingshilfe gestellt haben.

Sie haben viele persönliche Kontakte zu Flüchtlingen. Was geht Ihnen durch den Kopf angesichts der Übergriffe in Köln?

Baum Die Flüchtlinge, die schon länger in Kaarst leben, sind größtenteils in Ordnung, mit denen gibt es wenig Ärger. Schwarze Schafe gibt es unter ihnen natürlich ebenso wie unter Deutschen. Für die Muslime, die ich kenne, wäre es undenkbar, eine Frau in der Öffentlichkeit anzufassen. Viele Syrer wiederum sind Christen, deren Frauen selbstverständlich nicht verschleiert sind. Im Übrigen: Wird jemand straffällig oder hält sich nicht an unsere Gesetze, soll er gehen. Da gibt es für mich keine Diskussion.

Sie sagen: "Wir müssen mit den Menschen reden, damit sie unsere Lebensweise verstehen." Wie setzen Sie das um?

Baum Wir als Flüchtlingshilfe kooperieren mit der Stadt, dem Ökumenischen Arbeitskreis Asyl und dem Integrationsrat. Zusammen haben wir uns überlegt, kleinere Gruppen von zehn bis 15 Personen aus dem selben Herkunftsland zu bilden, in denen sie in ihrer Muttersprache über wichtige Themen aufgeklärt werden - von der Mülltrennung bis hin zu Artikel 3 des Grundgesetzes (Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.).

Gleichberechtigung ist manchmal schwer zu vermitteln...

Baum Ja, das müssen wir vor allem den Männern vermitteln. Die Frauen sind meist nicht das Problem. Beispielsweise kenne ich eine syrische Akademikerin, die es faszinierend findet, wie wir Frauen hier in Deutschland leben. Ich habe sie überzeugen können, einmal ohne Kopftuch auszugehen. Sie stellte zu ihrer Überraschung fest, dass sie keineswegs angestarrt wird.

Glauben Sie, wie manche Experten, dass die deutsche Gesellschaft die Zuwanderer braucht?

Baum Ja, wenn man in zeitlichen Dimensionen denkt, ist klar, was mit der Bundesrepublik passiert: Die Gesellschaft überaltert, und in 60 Jahren ist der Sozialstaat kaputt. Die jungen Zuwanderer, die hier in die Schule kommen, eine Ausbildung oder ein Studium absolvieren, haben gute Chancen. Und wir sollten sie fördern.

Wie erleben Sie die Flüchtlinge?

Baum 97 Prozent, also die allermeisten, denen wir beispielsweise bei der Einrichtung einer Wohnung helfen, sind einfach nur dankbar. Viele haben Schreckliches erlebt. Ein verschwindend geringer Teil hat ein ausgeprägtes Anspruchsdenken. Wenn uns das zu heftig wird, gehen wir. Schließlich sind wir alle ehrenamtlich tätig. Übrigens könnte es für so machen Deutschen einmal ein "Erlebnis" sein, eine Woche in einem Flüchtlingslager zu leben.

S. NIEMÖHLMANN STELLTE DIE FRAGEN.

(NGZ)
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