Neuss Wie Facebook und Co. die Gesellschaft spalten

Neuss · Der Soziologe Franz Josef Röll beschäftigt sich mit gesellschaftlichen Auswirkungen sozialer Medien. Am Dienstag spricht er in Neuss.

Neuss: Wie Facebook und Co. die Gesellschaft spalten
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Franz Josef Röll bezeichnet sich selbst als alten Menschen. Aus Sicht der Jugend mag er mit seinen 67 Jahren vielleicht sogar Recht haben. Trotz seines fortgeschrittenen Alters ist der Professor jedoch ein absoluter Social-Media-Experte. Nicht, weil er täglich sein Essen fotografiert und es mit seiner gesamten virtuellen Freundesliste teilt, oder weiß, wie man als Unternehmer Facebook und Co. zum Marketing-Instrument macht. Röll interessiert sich für eine andere Seite der digitalen Welt: Seine Profession ist ihr Einfluss auf das Handeln, Sehen, Denken und Fühlen der Gesellschaft - insbesondere auf die Jugend. Am kommenden Dienstag, 25. Oktober, wird er im Forum Marienberg einen Vortrag mit dem Titel "Ich poste, also bin ich" halten. Dabei wird das Thema Identitätsbildung eine große Rolle spielen.

Wer Röll zuhört, der merkt: Soziale Netzwerke sind viel mehr als der Klick auf den "Gefällt mir"-Daumen. Sie haben eine Wirkung, über die sich die meisten Nutzer überhaupt nicht bewusst sind. Sowohl positiv als auch negativ, Röll nimmt keine wertende Haltung ein. Dennoch schwingt eine leichte Sorge mit, wenn er Sätze sagt wie: "Es gibt eine enorme Beschleunigung in der Gesellschaft." So spricht er sozialen Netzwerken gar die Macht zu, eine Gesellschaft zu spalten - in Alt und Jung. In die Jugend, die sich adaptiv in der digitalen Welt bewegt, und die ältere Generation, die Probleme hat, sie zu verstehen, aufzunehmen und zu verarbeiten. Ein Generationskonflikt, der bei älteren Menschen sogar zu Angstgefühlen führen könne. "Wenn ich spüre, ich komme nicht mehr mit, dann habe ich das Gefühl, dass die Dinge, die ich mache, entwertet werden. Um das auszugleichen, versuchen manche, das, was die Jugend macht, schlechtzureden", sagt Röll.

Doch wie entstehen durch soziale Medien Probleme bei der Identitätsbildung? "Früher wusste der Einzelne, was er zu tun hat. Meist wurde ein bestimmter Weg vorgegeben. Heute kann der Jugendliche an der Konstruktion seiner eigenen Identität mitbasteln", sagt Röll. Auf diesem Weg, der gespickt ist von unzähligen Optionen, bestehe jedoch die Möglichkeit, sich zu verirren. "Im Netz bekommt man Antworten auf Fragen, die man nicht gestellt hat", fasst Röll zusammen. Gerade bei Menschen, die keine bis wenige soziale Kontakte in der realen Welt haben, bestehe die Gefahr, "sich in diesem Netz zu verlieren".

Doch der Darmstädter hebt nicht nur die Nachteile der sozialen Digitalisierung hervor. Positiv sei zum einen die Möglichkeit, über seine bisherigen Schranken hinaus Leute kennenlernen - dass man in der Lage ist, eine Gruppierung zu finden, in der man Anerkennung und Bestätigung erhält. Röll spricht in dem Zusammenhang sogar von einer Art Beheimatung. "Heute ist Beheimatung ein Raum, in dem ich mich wohlfühle. Das muss kein realer Ort mehr sein."

Der Soziologe ist Vater einer 21 Jahre alten Tochter, die selbst von den Vorteilen profitieren und den Gefahren betroffen sein könnte. Ein Social-Media-Verbot kam für den 67-Jährigen aber nie in Frage. "Ich habe einfach Interesse an ihren Aktivitäten gezeigt. Seitdem weiß ich, was sie da tut. Man sollte damit offen umgehen", sagt Röll.

(NGZ)
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