Neuss Weihnachtsidylle im Landestheater

Neuss · Harmonisch, familiär, gemütlich - zum heiligen Abend passen diese Wörter wie sonst kaum. Zumindest in der Vorstellung, wie in dem Bild "Das Weihnachtslied" von Oscar Gräf, das in der "Gartenlaube" 1893 veröffentlich wurde und zum Bestand des Clemens-Sels-Museum gehört. Wir haben es mit Hilfe von Schauspielern des Rheinischen Landestheaters nachgestellt.

 Hergard Engert, Peter Waros, Johanna Freyja Iacono-Sembritzki, Ida Tröbs, Richard Lingscheidt und Victoria Gurdon (v.l) gruppieren sich mit dem sitzenden Rainer Scharenberg im Foyer des RLT zur Weihnachtsidylle.

Hergard Engert, Peter Waros, Johanna Freyja Iacono-Sembritzki, Ida Tröbs, Richard Lingscheidt und Victoria Gurdon (v.l) gruppieren sich mit dem sitzenden Rainer Scharenberg im Foyer des RLT zur Weihnachtsidylle.

Foto: Andreas Woitschützke

Bevor es losgeht, müssen Rainer Scharenberg und Reinar Ortmann erst mal anpacken. Das Klavier steht nämlich falsch herum. Aber für das Foto müssen die Tasten des Klaviers sichtbar sein, schließlich soll die nachgestellte Aufnahme des Fotos aus der "Gartenlaube" von 1893 so nah wie möglich am Original sein. Also spucken der Schauspieler und der Chefdramaturg sinnbildlich in die Hände und drehen das Instrument.

Doch der Tasten-Deckel bleibt zu. Der Schlüssel ist nicht da. NGZ-Fotograf Andreas Woitschützke überlegt nicht lange. "Dann tun wir so, als ob." Ist schließlich Alltag in einem Theater, das von vorgespielten Bildern und Situationen lebt. Nur dass die Schauspieler für diese Szene nichts sagen müssen. Stehen, gucken und so tun, als ob sie singen - das reicht schon für das Bild von Oscar Gräf, das schließlich auch "Das Weihnachtslied" heißt. Hergard Engert, Peter Waros, Johanna Freyja Iacono-Sembritzki, Rainer Scharenberg und Richard Lingscheidt muss man das nicht zweimal sagen, aber sie singen trotzdem. Ida Tröbs und Victoria Gurdon, die im RLT ein Freiwilliges Soziales Jahr ableisten, fügen sich nicht weniger geschmeidig ein. Ihnen allen hat die Chefin der RLT-Gewandmeisterei, Alide Büld, im Fundus Kostüme rausgesucht, die in die Zeit passen und die Damen und Herren wunderbar kleiden. "Das war nicht ganz einfach", sagt Büld schmunzelnd, "denn erstens haben wir nicht viele Kostüme im Stil der Jahrhundertwende, und zweitens müssen die Schauspieler, die diese mal getragen haben, sehr schmal gewesen sein."

Wie gut also, dass alle Mitspieler zu den Schlanken gehören. Büld hat bei jedem Maß genommen und zum Glück das Passende gefunden: hochgeschlossene Kleider für die Damen, in Grün für die Dame des Hauses, in Lila mit Spitzenoberteil für die ältere Tochter, in Creme und Zartrosa für die jüngeren Töchter. Der Hausherr trägt schwarz, der Sohn darf sich in Blau und gemusterter Weste zeigen.

Sie schauen aus wie aus alter Zeit gefallen, bewegen sich wie distinguierte Damen und Herren des Bürgertums und haben sichtbar Spaß daran, in eine Rolle zu schlüpfen, die so gar nichts damit zu tun hat, was sie eine gute Stunde vorher noch spielten. Da standen die Schauspieler nämlich noch auf der richtigen Bühne, im "Lebkuchenmann", waren Herr von Kuckuck (Waros), Fräulein Pfeffer (Engert), Flitsch, die Maus (Iacono-Sembritzki), Der alte Teebeutel (Scharenberg) und der Lebkuchenmann (Lingscheidt).

Ein gute halbe Stunde haben sie gebraucht, um sich in die Mitglieder einer Familie zu verwandeln, die sich - singend oder zuhörend - kurz vor Jahrhundertwende um den Weihnachtsbaum schart. Nur dass der Fotograf dieses Mal die Regieanweisungen erteilt: "Nicht angelehnt sitzen", "den Kopf ein bisschen nach links drehen" lauten etwa die Vorgaben, die das "Gartenlauben"-Ensemble mustergültig umsetzt.

Dass Johanna Freyja Iacono-Sembritzki ihren Kopf bei allem sehr gerade hält, fast hoheitsvoll nach rechts und links schaut, hat jedoch einen simplen Grund: "Wenn ich meinen Kopf zu viel bewege, rutschen meine Locken wieder raus", sagt sie lachend. Damit würde sie zerstören, was die beiden Maskenbildnerinnen in kurzer Zeit gezaubert haben. Suse Marr ist Chefin der Maske am RLT, Sahra Bahrampour ein Mitglied ihres Teams, und zusammen haben sie Engert, Iacono-Sembritzki und Gurdon kunstvoll frisiert und geschminkt und Lingscheidt mit einem herrlichen Oberlippenbart ausgestattet.

Nur einer sieht anders aus. Und muss sich beherrschen, nicht immer wieder laut loszulachen, wenn er an sich herunterschaut. Rainer Scharenberg. Er gibt den kleinen Jungen, sitzt auf dem Boden, hat wie das Original eine Pickelhaube auf dem Kopf und lacht sich schlapp. Vor allem, als Fotograf Woitschützke das eigene Stolpern über Scharenbergs Beine mit den Worten kommentiert: "Deine Beine sind einfach zu lang!" Und dann schauen sie auch noch aus einem geringelten "Spielanzug", neudeutsch: Jumpsuit, heraus. Von dem weiß Hergart Engert sofort, aus welchem Stück er stammt: Noah und der Regen. "Und Pablo trug ihn als Probenkostüm für den Lebkuchenmann", ergänzt Iacono-Sembritzki lachend. Mit schwarzen Kniestrümpfen und Spitzenkragen macht er nun aus Scharenberg ein wohlerzogenes Kind. Den Dreitagebart muss man sich halt wegdenken...

Aber alle sind Profis durch und durch, und als RLT-Marketingchef Frank-Uwe Orbons doch noch den Schlüssel für den Tastaturdeckel des Klaviers auftreibt, nimmt jeder Haltung an. Das Fotoshooting kann losgehen.

(hbm)
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