Neuss Von Unkraut und Klavierspiel in der Stadtbibliothek

Neuss · Der Lyriker Jan Wagner las unter anderem aus seinem Best-of-Band "Selbstporträt mit Bienenschwarm".

 Der Georg-Büchner-Preisträger Jan Wagner überzeugte mit seiner unterhaltenden und offenen Art das Publikum.

Der Georg-Büchner-Preisträger Jan Wagner überzeugte mit seiner unterhaltenden und offenen Art das Publikum.

Foto: Andreas Woitschützke

Der Mann hat vermutlich mehr Auszeichnungen gesammelt als Werke veröffentlicht, seine Verkaufszahlen bewegen sich für einen Lyriker geradezu auf Bestseller-Niveau, und die Zahl seiner Leser wächst nicht erst, seit ihm im Oktober 2017 mit dem Georg-Büchner-Preis die wohl höchste deutsche Literaturauszeichnung zuerkannt wurde. Doch Jan Wagner - davon konnten sich die Zuhörer bei seiner Lesung in der Stadtbücherei Neuss überzeugen - trägt keine Allüren zur Schau, er wirkt weder erschöpft noch gelangweilt. Hellwach und begeistert spricht er unterhaltsam über das, was offenbar das Zentrum seiner Existenz ausmacht: Lyrik. Und Jan Wagner ist einer, der andere Menschen mit dieser Begeisterung anstecken kann.

Es bedarf keiner großen Überredungskunst von Bibliotheksleiter Alwin Müller-Jerina, damit Wagner weitere Kostproben aus seinem "Best-of"-Band "Selbstporträt mit Bienenschwarm" vorträgt: "Alter Biker" oder das lautmalerische "Giersch", in dem das Unkraut schließlich die Verse zu überwuchern droht; der "Versuch über Mücken" oder "Die Etüden", Wagners unliebsame Erinnerungen an den Klavierunterricht ("die gebleckte Tastatur"). Dazwischen entlockt der Moderator ihm Interessantes zu seiner Person, seinem Literatur-Verständnis und Schaffensprozess. Wagner antwortet ausführlich und trotz hoher Sprechgeschwindigkeit in sorgfältig modellierten, nahezu druckreifen Sätzen - und mit einer angenehmen Stimme, die ihm vor Jahren das Angebot einbrachte, für eine Erotik-Hotline zu arbeiten.

Nun, zur Freude der Leser und wohl auch seiner eigenen hat es aber mit der Dichtkunst geklappt. Sie ist das Element des 1971 geborenen Jan Wagner. Zwar hat er sich auch als Essayist, Übersetzer englischsprachiger Literatur und Rezensent einen Namen gemacht, das Gedicht aber ist und bleibt für ihn die Essenz der Literatur. "Romane sind so furchtbar lang", beantwortet er die Frage, warum er sich für die Dichtung in Versform entschieden hat, "man kann auch auf fünf oder zehn Zeilen alles sagen."

Diesen "Verdichtungen" ist die Freude am Spiel mit der Sprache, die er meisterhaft beherrscht, anzumerken. Und ihre Schönheit, so seine Überzeugung, komme nun mal vor allem im Gedicht zur Geltung. Leicht und unverkrampft wirken seine Formulierungen. Dabei trägt er manchmal monatelang ein Gedicht mit sich herum, holt es immer wieder hervor, um daran zu feilen. Dass er darin vermeintlich Harmloses wie Bettlaken, Teebeutel oder Quitten behandelt, hat seinen Gedichten gelegentlich den Vorwurf eingebracht, schön, aber gesellschaftspolitisch belanglos zu sein. Doch Wagner kontert: "Es sind genug Bezüge da, die dazu einladen, sie auf andere Kontexte zu übertragen."

(NGZ)
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