Neuss Überraschende Einigkeit im Urteil

Neuss · Das Theater am Schlachthof war Ort der jüngsten Diskussion des "Neusser Literarischen Quartetts". Aus Anlass der Leipziger Buchmesse debattierten Markus Andrae, Ursel Hebben, Alwin Müller-Jerina und Reinar Ortmann.

 Markus Andrae, Ursel Hebben, Alwin Müller-Jerina und Reinar Ortmann bilden das "Neusser Literarische Quartett", das sich zwei Mal im Jahr mit Neuerscheinungen befasst. Anlass ist die Buchmesse - in Leipzig oder in Frankfurt.

Markus Andrae, Ursel Hebben, Alwin Müller-Jerina und Reinar Ortmann bilden das "Neusser Literarische Quartett", das sich zwei Mal im Jahr mit Neuerscheinungen befasst. Anlass ist die Buchmesse - in Leipzig oder in Frankfurt.

Foto: Georg Salzburg

In Leipzig schlug das Wetter zu, in Neuss war es Ver.di. Am Ende der Leipziger Buchmesse hatten eisige Temperaturen der Bahn und damit vielen Messebesuchern unerfreuliche Erlebnisse beschert. Bei der Neusser "Nachlese" zu dem literarischen Groß-Event war es der Streik im öffentlichen Nahverkehr, der die Anreise zum Theater am Schlachthof (TaS) erschwerte. Nur eine kleine Truppe wahrer Bücherfreunde hatte es in die Blücherstraße geschafft.

Schade, denn das bestens gestimmte "Neusser Literarische Quartett" bot gute Unterhaltung. Neben dem Hausherrn Markus Andrae waren dies Ursel Hebben von der VHS, der RLT-Chefdramaturg und baldige Interimsintendant Reinar Ortmann und Alwin Müller-Jerina, Leiter der Stadtbibliothek.

Anders als bei früheren Terminen beschränkten sich die vier Literatur-Experten auf zwei Leipziger Neuerscheinungen. Eine weitere Überraschung war, dass man sich ohne vorherige Absprache bei beiden Titeln auf ein gemeinsames Urteil einigen konnte. Zunächst ging es um den bereits sehr arrivierten und im Literaturgeschäft erfolgreichen Arno Geiger.

Der 1968 im österreichischen Vorarlberg geborene Schriftsteller schlägt mit seinem Roman "Unter der Drachenwand" einen Bogen zurück zum Zweiten Weltkrieg, einer Zeit also, die er nicht aus persönlicher Anschauung kennt.

Die Ich-Erzählung führt in das Jahr 1944. Geiger präsentiert den aus Wien stammenden Veit Kolbe, der als Rekonvaleszent von der Ostfront nach Mondsee kommt. Dort findet er eine vergleichsweise friedliche Welt vor, die neben ihm noch zahlreichen anderen Gästen Zuflucht vor den Schrecken des Kriegs beschert hat: aufs Land evakuierten Schülerinnen, deren Betreuerinnen, einer jungen Mutter aus Darmstadt und einem aus Brasilien zurückgekehrten Einheimischen. In die über allem drohende Drachenwand führt nur eine einzige, dann allerdings auch tödliche Szene.

Die Drachenwand ist ein tatsächlich existierender Fels im österreichischen Salzkammergut. In der Nähe liegen Mondsee und ein weiterer Ort namens Schwarzindien. Als ihm diese Namenskonstellation ins Auge fiel, habe der Autor sich gesagt "Arno, da musst du ran", so erzählte er in einem Interview. Neben dem Erzähler Veit Kolbe gibt es eine ganze Reihe weiter Figuren. Zu viele nach dem Geschmack von Reinar Ortmann: "Hier hat Geiger sich vielleicht übernommen."

Der zweite vorgestellte Roman "Wie hoch die Wasser steigen" stammt von der noch jungen Anja Kampmann und war sogar für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.

Darin geht es um einen 52 Jahre alten Mann, der auf einer Bohrinsel vor Marokko arbeitet. Dann stirbt sein Kollege und Freund bei einem Unfall, der nie aufgeklärt wird. Auf der Bohrinsel sind Menschen nur globale Verschiebemasse im Energiegeschäft, Wanderarbeiter der besser bezahlten Sorte. Der Ölbohrarbeiter, er heißt Waclaw, begibt sich nach dem Tod des Kollegen zunächst zu dessen Halbschwester, um ihr das letzte Bündel Hab und Gut zu übergeben. Dabei reist er durch halb Europa.

Die Ablehnung des Quartetts war einhellig und deutlich. Man stieß sich vor allem an der lyrischen Überhöhung des Geschehens: "Bilder um ihrer selbst willen", kritisierte die Runde und das Fazit der vier war dann einhellig: "Da hätte man ruhig hundert Seiten streichen können."

(NGZ)
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