Eine Nacht in einem Neusser Stall Stroh, du fröhliche...

Neuss · Maria und Josef haben es getan. Und wenn eine Schwangere und ein müder Zimmermann das schon schaffen, dann wird eine Nacht im Stall für einen jungen NGZ-Redakteur doch kein Problem sein - oder?

 Simon Janßen hat eine Nacht im Stroh verbracht.

Simon Janßen hat eine Nacht im Stroh verbracht.

Foto: Woitschützke Andreas

Als ich um 4.42 Uhr aufwache, fühle ich mich wie ein alter Mann. Der Rücken schmerzt, die Nasenspitze ist kalt und der Mund ist trocken wie das Stroh, auf dem ich liege. Um mich herum herrscht eine bemerkenswerte Geräuschkulisse. Es raschelt. Immer wieder werde ich geweckt durch lautes Schnaufen oder Heul-Laute, die ein wenig klingen wie Walgesänge. Ob es Maria und Josef damals ähnlich ergangen ist, als sie in Bethlehem von einem Gastwirt Obdach in einem Stall gewährt bekamen?

Bethlehem ist in meinem Fall Allerheiligen. Und der Gastwirt Karl-Heinz Spix. Sieben Stunden vor meinem Altherren-Erwachen öffnet er mir die Tür. "Ich dachte, es kommt keiner mehr", sagt er. Womöglich hielt er es auch für einen Jux, als ich ihn vor einigen Tagen anrief und fragte, ob ich in einem seiner Ställe übernachten könne. Ich wolle die Weihnachtsgeschichte mal am eigenen Leib erfahren. Etwas ungläubig willigte er ein.

 Hat etwas von "The Green Mile": der Blick in den Pferdebox-Korridor. Um 22 Uhr gehen dort die Lichter aus.

Hat etwas von "The Green Mile": der Blick in den Pferdebox-Korridor. Um 22 Uhr gehen dort die Lichter aus.

Foto: woi/jasi

Ich habe Glück. Es ist zwar etwas feucht, doch mit fünf Grad, die das Thermometer anzeigt, hätte es mich im Winter schlimmer erwischen können. Immer noch zu kalt für eine Nacht im ungeheizten Stall, aber Maria und Josef haben sich ja auch nicht beschwert. "Ich glaube, in Bethlehem war's wärmer", sagt Karl-Heinz Spix schmunzelnd. Er zeigt mir mein "Domizil". Eigentlich sind alle 50 Pferdeboxen belegt. Da Herbi aber gerade in Reha ist - der Gute hat es an den Knochen -, ist sein "Zuhause" derzeit unbewohnt. Ein paar Quadratmeter, etwas Stroh. Herbi ist ein bescheidener Kerl. Die Laken hat Spix vor meinem Besuch frisch bezogen - besser gesagt: Er hat frisches Stroh ausgelegt. Für Schlafsack, Kissen und warme Kleidung sorge ich selbst.

 Mit Schlafsack und Kissen "bewaffnet" ist das Stroh gar nicht mal so unbequem. Zumindest in den ersten Minuten.

Mit Schlafsack und Kissen "bewaffnet" ist das Stroh gar nicht mal so unbequem. Zumindest in den ersten Minuten.

Foto: Simon Janssen

Spix warnt mich vor. "Um 22 Uhr mache ich hier die Lichter aus", sagt der 54-Jährige. Eine halbe Stunde Zeit habe ich also noch. Der Besitzer der Reitanlage führt mich durch die Halle, zeigt mir das Solarium, die Dusche für die Pferde. Ganz schön luxuriös, denke ich mir, bis mir einfällt, dass ich gleich in einem Pferdestall schlafen muss. Den Kaffee, den Spix mir im weihnachtlich geschmückten Reiterstübchen anbietet - lehne ich ab, um nicht die ganze Nacht wach zu bleiben. Und einen Automaten, an dem man sogar heiße Gemüse-Suppe ziehen kann, hatten Maria und Josef mit ziemlich großer Sicherheit damals nicht zur Verfügung. Wobei Schwangerschaft und Kaffee dann wieder ein ganz anderes Thema ist.

Spix schiebt das schwere Gittertor der leeren Box zur Seite. Ich forme das Stroh möglichst komfortabel zurecht, wickel meinen Schal eng um den Hals und schlüpfe in meinen Schlafsack. Mit einem leisen "Klack" geht wenig später das Licht aus. Josef und Maria bekamen in jener Nacht Besuch von Hirten. Ihre Aufgabe war es, die Schafherden und die Ziegenherden der Bauern vor wilden Tieren und Dieben zu schützen. Hirten werde ich in dieser Nacht keine treffen. Dafür habe ich Rox, der als Wachhund einen ähnlichen Job hat. Gold könnte mir in meiner Situation nicht helfen. Zu Weihrauch und Myrrhe würde ich aber nicht nein sagen. Vielleicht könnte ich so den strengen Pferdegeruch überdecken. "Schweinestall wäre schlimmer", hatte mir Gastgeber Spix noch vor einer Stunde gesagt. Der Mann hat ja Recht.

 Dave steht in einem der Nachbarställe und kann ganz schön laut schnarchen. Ob er deshalb so ein langes Gesicht macht?

Dave steht in einem der Nachbarställe und kann ganz schön laut schnarchen. Ob er deshalb so ein langes Gesicht macht?

Foto: Simon Janssen

Dass ich keinen Besuch von Hirten bekomme, mag daran liegen, dass es ziemlich bewölkt ist. Einen Stern über Allerheiligen, der sie zu meinem Schlafplatz navigiert, könnten sie somit nicht sehen. Ich finde mich damit ab, dass ich die Nacht allein verbringen werde. Alleine? Nicht ganz. Denn in der Box neben mir schläft Balou. Mein Nachbar hat einen ziemlich unruhigen Schlaf. Er sondert zwischendurch gerne mal ein paar Gase ab, schnauft kräftig durch oder tritt mit den Hufen gegen die Stallwand. Gleiches gilt übrigens für seine Kollegen in den anderen Boxen. Heißt: an tiefen Schlaf ist nicht zu denken. Immer wieder wache ich auf: um 0.30 Uhr, 2 Uhr, 2.30 Uhr, 3.30 Uhr - und schließlich um 4.42 Uhr, als ich mich dazu entschließe, dieses Projekt mit Rückenschmerzen und laufender Nase abzuschließen. In anderthalb Stunden würden hier ohnehin die Lichter wieder angehen.

Am nächsten Tag verrät mir die Frau von Karl-Heinz Spix, dass er mir Brötchen und Kaffee in den Stall gebracht hätte, wenn ich noch da gewesen wäre. Ich hoffe, er hat sie Balou gegeben. Schließlich war er in der Nacht mein persönlicher Hirte - der aufgepasst hat, dass ich nicht einschlafe. Stroh, du Fröhliche!

(NGZ)
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