Michael Ziege "SPD spürt die Jetzt-erst-Recht-Mentalität"

Neuss · Der stellvertretende Vorsitzende der Neusser SPD erklärt, wie er seine Partei im Umfragetief motiviert, spricht über Spaß im Wahlkampf, über Mitgliederzuwachs und über den Stadtverband, der sich vom Genossen im Bürgermeisteramt emanzipiert.

 Der Student Michael Ziege (30) ist Stadtverordneter und seit dreieinhalb Jahren SPD-Vize in Neuss.

Der Student Michael Ziege (30) ist Stadtverordneter und seit dreieinhalb Jahren SPD-Vize in Neuss.

Foto: SPD

Herr Ziege, Martin Schulz hat einen persönlichen Tiefwert erreicht. Laut Forsa-Umfrage wollen ihn nur 21 Prozent der Wähler im Kanzleramt sehen. Wie motivieren Sie sich und die SPD-Basis da noch?

Michael Ziege Wer nichts zu verlieren hat, der kann nur gewinnen. Die SPD hat zur NRW-Wahl schmerzlich erfahren, dass Wahlen nicht durch Umfragen entschieden werden. Wer die Sozialdemokraten jetzt schon abschreibt, wird sich noch wundern.

Gut gebrüllt, Löwe. Aber Hand aufs Herz: Sie als Wahlkampfleiter müssen ja Durchhalteparolen in die Stadt posaunen. Haben Sie Fakten?

Ziege Unser Kandidat Daniel Rinkert und viele Helfer aus der Partei sind seit Wochen im Von-Tür-zu-Tür-Wahlkampf unterwegs, spüren, wie die meisten Menschen sich freuen, dass sie mit ihren Sorgen und Nöten gehört und nicht allein gelassen werden. Das macht uns Mut.

Aber von Wahlkampf ist doch eigentlich nichts zu spüren. Es sind Ferien.

Ziege Wir nutzen die Zeit für Kärrnerarbeit, ohne öffentlich auf die Pauke zu hauen. Bei jedem Info-Stand registrieren wir, wie sehr die Menschen über Politik diskutieren wollen. Wir können uns nicht beklagen. Wir erreichen die Wähler.

Geht das Gerechtigkeitsthema der SPD nicht am Eindruck der Menschen vorbei? Die Mehrheit der Deutschen hat doch nicht das Gefühl, in einem ungerechten Staat zu leben.

Ziege Darum geht es doch auch gar nicht. Wir müssen schon richtig erklären, was wir meinen. Die Gerechtigkeit fängt damit an, dass das Diesel-Geld von denen zu bezahlen ist, die den Betrug begangen haben, also der Automobilindustrie. Und zur Gerechtigkeit zählt auch, dass die kleinen Leute mit mittleren und unteren Einkommen entlastet werden. Wir wollen keine totale Umverteilung von oben nach unten, wir wollen aber, dass die Kluft zwischen Arm und Reich wieder kleiner wird.

Sagt Ihnen niemand im Haustür-Wahlkampf oder am Info-Stand, dass den Versprechungen die Glaubwürdigkeit fehlt, weil dann ein ...

Ziege ... Gerhard Schröder kommt und alles anders macht. Ja, das hören wir immer wieder. Aber immer wieder entgegne ich, dass wir heute Sozialdemokraten haben, die denken, was sie sagen und tun, was sie sagen. Die SPD hat heute Frauen und Männer in ihren Reihen, die - ob auf Bundesebene oder auf kommunaler Ebene - glaubwürdig sind und großes Vertrauen genießen.

Ist es nicht schwer, mit Daniel Rinkert einen jungen Kandidaten aus Grevenbroich in der Großstadt Neuss positionieren zu müssen?

Ziege Nö, denn Daniel Rinkert kennt die Stadt Neuss und die Neusser erstaunlich gut. Das merkt jeder, der mit ihm spricht, sehr schnell. Er fühlt sich in Neuss pudelwohl und ist ein toller Kandidat.

Wie viel Geld steht Ihnen für den Wahlkampf zur Verfügung?

Ziege Zu wenig.

Geht es etwas genauer?

Ziege Summen darf ich nicht nennen, aber wir sind finanziell so ausgestattet, dass wir einen guten Wahlkampf absolvieren möchten. Ja, es gab aber schon Wahlkämpfe, da hatten wir mehr Finanzmittel zur Verfügung. So ist das nun einmal.

Die FDP rühmt sich, viele Neumitglieder zu gewinnen. Spüren Sie in der SPD auch Zulauf?

Ziege Allein im Januar haben mehr als 30 Neumitglieder zur SPD Neuss gefunden. Das war der Schulz-Effekt. Der Trend dauert an, weil die Menschen wieder politischer werden. Auch nach unserer Niederlage im Landtagswahlkampf traten wieder viele Bürger ein. Das ist spürbar eine Jetzt-erst-Recht-Mentalität. Ja, die SPD wächst. Auch in Neuss.

Erstmals regiert in Neuss mit Reiner Breuer ein Bürgermeister der SPD. Die Loyalität zu ihm hemmt offenbar die Eigeninitiative in der Partei?

Ziege Nur eingangs. Wir mussten uns alle an die neue Situation gewöhnen. Längst gehen wir alle professionell miteinander um. Beispiel: Die Verwaltung wollte die Autobahn-Brücke Morgensternsheide schließen, wir nicht. Sie bleibt offen. Auch Schwarz-Grün merkt, dass mit dem Bürgermeister und mit uns gut kooperiert werden kann.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE LUDGER BATEN

(NGZ)
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