Neuss Solness baut auf Sand

Neuss · Esther Hattenbach hat "Baumeister Solness" von Henrik Ibsen am RLT in einer kompakten Fassung inszeniert.

 Durch leicht verzerrende Plastikfolie erleben die Zuschauer wie die 23-jährige Hilde Wangel in die Welt des Baumeister Solness eindringt.

Durch leicht verzerrende Plastikfolie erleben die Zuschauer wie die 23-jährige Hilde Wangel in die Welt des Baumeister Solness eindringt.

Foto: B. Hickmann

Für Halvard Solness sieht die Sache gut aus. Alles dreht sich nur um ihn, so wie es ihm gefällt. Im Konstruktionsbüro des Baumeisters wuselt eine servile Schar von Leuten, mit denen er nach Lust und Laune umspringt. Seine Frau Aline wird mit abfälliger Geste zurück an den Herd geschickt. Sein talentierter Zeichner Ragnar Brovik mit abfälligen Worten kujoniert. Dessen Verlobte indes, als Bürokraft bei Solness tätig, soll und will neben ihrer Schreibarbeit auch die virilen Triebe des Chefs befriedigen. Und dann steht da noch der Doktor Herdal allzeit für einen lustigen Plausch über dies und das zur Verfügung.

Durch eine leicht verzerrende Plastikfolie erleben die Zuschauer im Rheinischen Landestheater (RLT) dieses Eingangstableau der Inszenierung des Ibsen-Dramas "Baumeister Solness". Dann bricht die Wirklichkeit herein in Gestalt der 23-jährigen Hilde Wangel. Sie zerreißt den Kunststoff-Kokon des Baumeisters und drängt sich mit unglaublicher Energie hinein in seine Welt. In seine Innenwelt vor allem.

Die aus der Klassikerstadt Weimar stammende Regisseurin Esther Hattenbach und der RLT- Chefdramaturg Reinar Ortmann haben für Ibsens bürgerliche Seelen-Bloßlegung eine entstaubte, ungemein faszinierend neue Lesart herausgefiltert. Und mit den beiden Protagonisten Joachim Berger (Solness) und Anna Lisa Grebe (Hilde Wangel) die passenden Darsteller gefunden.

"Ich hoffe durch und mit Ibsen, Ibsen zu widerlegen" schreibt die Regisseurin auf dem Besetzungszettel und meint damit dessen Satz: "Die ganze Menschheit ist missglückt". Zunächst einmal aber hält sie sich an Ibsens Kalender. Die Premiere findet genau an dem Tag der Spielhandlung statt. Und just zehn Jahre früher hatte sich der Baumeister auf das 13-jährige Mädchen Hilde gestürzt, welches den einen Richtkranz setzenden Himmelsstürmer anschwärmte. Damals hatte ihr Solness ein Königreich versprochen, samt Schloss und Turm.

Zunächst noch höflich-schüchtern, dann eindringlich und immer fordernder zerkratzt Anna Lisa Grebe die Erinnerungs-Camouflage von Joachim Berger. Dessen hemdfreier Oberkörper verrenkt sich in Muskelposen, während der Kopf eine routinierte Weglächeln-Parade vorführt. In einem der leeren Kinderzimmer seines Hauses will er die anstrengende junge Frau unterbringen. Da, wo die Zwillinge des Ehepaars Solness kurz nach der Geburt gestorben sind. Die Hilde der Anna Lisa Grebe lässt sich indes nicht von dem einmal eroberten Gefühlsterrain vertreiben. So beharrt sie auf der Erfüllung des damals gegebenen Versprechens: Auf Luftschlösser könnte man sich doch einigen, "frei gebaut, aus Gedanken, aus Luft, aus Zuneigung."

Immer dichter werdend, treiben die Pyschoduelle der Protagonisten ihrem Höhepunkt zu. Die Begriffe "Fallhöhe" und "schwindelfrei" zeigen sich jetzt in ihrer dramatischen Doppeldeutigkeit. In Esther Hattenbachs Inszenierung ist es nicht der altersbedingt taumelnde Baumeister, der am Schluss vom Turm eines neuen Hauses stürzt. Es ist der von den Parzen des kalten Nordens, den Trollen, um sein Glück gebrachte Emporkömmling. Dieser Neusser Baumeister hatte noch so viel vor. Wenn da nur die Plastikfolie seinem Troll- und Puppenheim weiter Schutz gewährt hätte. Hilde Wangel kommt in beiden Welten klar: "Schrecklich spannend", kommentiert sie Solness' Absturz. Ist Ibsen damit widerlegt? Freundlicher, etwas verhaltener Premierenapplaus.

(NGZ)
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