Neuss So erlebte Diepgen den Fall der Mauer

Neuss · Berlins ehemaliger Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen sowie Bürgerrechtler und DDR-Minister Rainer Eppelmann schilderten im Romaneum Details der Ereignisse von 1989/90.

Sie waren ganz nah dran, als die Wiedervereinigung ausgehandelt wurde: Eberhard Diepgen war damals Regierender Bürgermeister von Berlin, Rainer Eppelmann Minister für Abrüstung und Verteidigung in der letzten DDR-Regierung. Er ist heute Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Die Talkgäste gewährten im Romaneum tiefe Einblicke in damalige Entscheidungsprozesse. Professor Hans Süssmuth führte durch einen höchst interessanten Abend, der vom Forum Archiv und Geschichte Neuss veranstaltet worden war. Es war eine Fülle von Informationen und Anekdoten, die der Moderator den beiden prominenten Gästen entlockte.

Pfarrer Rainer Eppelmann, der mehr und mehr zum Bürgerrechtler wurde, berichtete: "Die Demonstrationen der Friedensbewegung in Westdeutschland 1982 führten in der DDR zu Friedenskreisen. Mitte der 1980er Jahre kamen Ökologiekreise und Menschenrechtsgruppen hinzu." 1989 folgten die Montagsdemonstrationen in Leipzig - die Teilnahme sei ein Risiko gewesen: "Niemand wusste, ob er wieder nach Hause zurückkehren würde." Eberhard Diepgen, der jetzt stellvertretender Vorsitzender der Vereinigung "Gegen Vergessen - für Demokratie" ist, erinnert sich an einen Kontakt mit Erich Honnecker im Jahre 1988: "Er trat sehr selbst- und wenig problembewusst auf, verbreitete Lobeshymnen über die Stärke der DDR-Wirtschaft." Wovon Diepgen überzeugt ist: "Gorbatschow ahnte nicht, welche Folgen die Wiedervereinigung für die Sowjetunion haben würde." Was Diepgen stark bezweifelte: Dass es in der Bundesrepublik 1989 eine Mehrheit für die Wiedervereinigung gegeben hat. Hat der Westen den Osten überrollt? "Diese Behauptung ist nicht fair. 80 Prozent der Menschen in der DDR haben Westfernsehen geguckt. Sie hatten die Sehnsucht nach vergleichbarem Lebensstil", erklärte Eppelmann. Die Armee habe sich loyal gegenüber der Volksbewegung verhalten. "Wir wollten Freiheit, aber nicht um den Preis eines 3. Weltkrieges", so Eppelmann. Das entscheidende Signal zur Wiedervereinigung sei aus der Sowjetunion gekommen: Gorbatschow habe den Deutschen die Entscheidung überüberlassen, welchem Bündnis das Land angehören wolle. Diepgen gab zu verstehen, dass es auch im Westen die Vorstellung gab, die DDR müsse erst "aufgeforstet" werden, um dann auf Augenhöhe über die Wiedervereinigung zu verhandeln. Dass die dann so schnell kam, sei kein Fehler gewesen, so Eppelmann. Verhandlungen auf Augenhöhe seien nicht möglich gewesen. Viele Menschen zog es in den Westen: "Es fehlten bald Ärzte und Straßenbahnfahrer", sagte Eppelmann. Nicht zuletzt wegen des Exodus sei Handeln angezeigt gewesen.

(NGZ)
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