Neuss Shakespeares Erbe aus dem Varieté

Neuss · Ein ungewöhnlicher, aber wunderbarer Auftakt fürs Shakespeare-Festival: "Shakespeare goes Varieté"

Neuss: Shakespeares Erbe aus dem Varieté
Foto: Christoph Krey

Wenn Reuter, Hagemann und Frl. Hehl das geahnt hätten: Ob sie dann ihre Plätze in der ersten Reihe gegen hintere getauscht hätten? Die drei Zuschauer, die im wirklichen Leben wohl andere Namen tragen, müssen schon rund 90 Minuten lang als Sparring-Partner des Conférenciers herhalten, aber dürfen immerhin sitzenblieben. Bis kurz vor Schluss... Aber der Reihe nach.

Denn der Abend beginnt für sie ganz harmlos. "Shakespeare goes Varieté" ist sein Motto, er markiert den Auftakt des Festivals im Globe und verspricht gleich mit der ersten Szene ein nettes musikalisches Vergnügen zu werden. Vier Saxophonspieler und vier Streicher spielen fast um die Wette, nicht nur im Sitzen und Stehen, sondern auch im Gehen und Tanzen. Und weil da noch vier Stühle rumstehen, hat das Ganze etwas vom Kinderspiel "Reise nach Jerusalem", denn Daniel Finkernagel als künstlerischer Leiter und Peter Wesenauer als musikalischer Leiter des Projekts haben dieses erste Aufeinandertreffen des Asasello Quartetts und des Signum Saxophon Quartetts wie ein Duell konzipiert. Das dann aber sehr friedlich endet: Ein Streicher und ein Saxophonist teilen sich jeweils einen Stuhl.

Doch dann kommt der Lehrer. In Gestalt von Karl-Heinz Helmschroth, der nicht nur gleich sein Notenbüchlein zückt, sondern sich auch drei "Schüler" herauspickt. Hagemann und Reuter, die ihm gar nichts recht machen können, und das Frl. Hehl, das er gerne ein bisschen hätschelt. Sein Thema natürlich: Shakespeare. Aber "beyond", also "darüber hinaus". Die Sonette hat natürlich kein "Schüler" gelesen, aber zum Glück gibt es ja Corinna Kirchhoff. Die bekommt sogar eine Musikbegleitung (dieses "beyond" ist von Wesenauer sehr pointiert komponiert) und liest die Sonett-Auswahl mit viel Verve.

Mag die Schauspielerin an diesem Abend auch den bekanntesten Namen innerhalb des Ensembles tragen, der Magier Sascha Simon mit seinen kleinen Einlagen immer wieder im Sinne des Wortes verzaubern - der Star ist Helmschroth, der auf unnachahmliche Weise gleichzeitig für das und mit dem Publikum spielt. Dabei bedient er sich auch noch der Säge und des Kontrabass,' jongliert mit Ball, Hut und aufgespanntem Schirm, klärt "gaaanz laangsaam" nur mit Mimik über die verschiedenen Lachtypen der Menschheit auf und erklärt mit Pingpongbällen im Mund, wie Shakespeares Schauspieler des "O" und das "P" lernten. Überhaupt Shakespeare: Irgendwie ist er ständig präsent. Mal ganz offen über die Rezitationen, mal im Subtext.

Finkernagels Konzept geht auf. Er würdigt den Dichter mit seinen eigenen Mitteln, mit seiner Komik, mit seiner Poesie. Und vor allem mit seinen Figuren. Mit der Handwerkerszene im "Sommernachtstraum" karikiert Shakespeare schließlich seine eigene Branche, das Theater. Das muss Lehrer Helmschroth einfach direkt am Objekt zeigen. Und so will er diesen im Stück "kurz langweilgen Akt vom jungen Pyramus und Thisbe, seinem Lieb" aufführen. Und wen zitiert er für die drei wichtigsten Figuren Pyramus, Thisbe und die Wand auf die Bühne? Richtig! Reuter, Frl. Hehl und Hagemann. Dass diese drei Zuschauer dennoch nicht vorgeführt werden, ihnen nichts peinlich sein muss, ist der hohen Kunst des Karl-Heinz Helmschroth. Einen solchen Auftakt hat das Shakespeare-Festival noch nie erlebt. Aber er passt und weist gleichzeitig darüber hinaus. Das Globe gibt diesem Abend den besonderen Kick, aber ebendort wird er auch zu jeder anderen Zeit funktionieren und begeistern.

VON HELGA BITTNER

(NGZ)
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