Neuss Roland Jahn lobt die Stärken des Archivs

Neuss · Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR war Gastredner beim Festakt zur 775-Jahr-Feier des Neusser Stadtarchivs. Er sprach über Stärken und Bedeutung von Archivarbeit.

 Beim Festakt (v.l.): Bürgermeister Reiner Breuer, Kulturdezernentin Christiane Zangs, Festredner Roland Jahn, Stadtarchivar Jens Metzdorf.

Beim Festakt (v.l.): Bürgermeister Reiner Breuer, Kulturdezernentin Christiane Zangs, Festredner Roland Jahn, Stadtarchivar Jens Metzdorf.

Foto: Sascha Dressler

Mit dem 775. Geburtstag des Stadtarchivs Neuss wurde jetzt ein außergewöhnliches Jubiläum gefeiert. "Das älteste städtische Institut ist heute ein lebendiges Informationszentrum und das funktionale Gedächtnis der Stadt", betonte Bürgermeister Reiner Breuer. Aber nicht nur das: 1242 erstmals in einer testamentarischen Regelung erwähnt, zählt das Neusser Stadtarchiv zu den ältesten in Deutschland. Das Kölner Archiv zum Beispiel wird erst 80 Jahre später erstmals genannt - und Düsseldorf kommt da ohnehin nicht dran.

Historisch bedeutsam und bis in die Gegenwart strahlend - das ist das Fundament, das das Archiv für die Identität der Quirinus-Stadt so wichtig macht. Breuer bezeichnete es denn auch als "Herzstück der städtischen Erinnerungskultur". Bei einem Festakt mit rund 150 Gästen blickte Stadtarchivar Jens Metzdorf nicht nur auf das Jubiläumsjahr zurück. "Seit genau 50 Jahren hat das Stadtarchiv übrigens seine Heimat an der Oberstraße", betonte er. "Es ist zwar eines der kleinsten Ämter. Was das Engagement und die Teamleistung angeht, ist es aber ganz groß." Als Festredner begrüßte er Roland Jahn, den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Berlin.

Erst einmal aber ging es um die Archivarbeit. Archivare begreifen die Gegenwart als etwas Gewachsenes und verfallen beim Planen der Zukunft nicht in Übermut. "Wir sind aus tiefster Überzeugung Dienstleister für die jetzige, aber auch die nachfolgenden Generationen. Die Digitalisierung und die Datenflut stellen uns vor eine immense Herausforderung, und wer glaubt, wir arbeiteten dann mit weniger Papier, der irrt", sagte Metzdorf. "In Kürze werden wir in das digitale Langzeitarchiv einsteigen."

Dann sprach Roland Jahn über die "Transparenz des Geheimen. Archive und Demokratie". Er lobte Neuss als lebendige Stadt mit einer lange nachvollziehbaren Geschichte. "775 Jahre sind ein langer Zeitraum, aber für Archivare, die in Jahrhunderten denken, eher Alltag. In der heutigen schnelllebigen Zeit ist das fast schon therapeutisch."

Jahn berichtete nicht nur als Bundesbeauftragter, sondern auch als Zeitzeuge, der fast 30 Jahre in der DDR - "also in einer Diktatur" - gelebt hat. Er sprach über das Stasi-Unterlagen-Archiv und seine Geschichte: 111 Kilometer Stasi-Akten bilden dort ein Monument der Überwachung und Repressionen und geben Einblick in das Leben der Menschen vor der friedlichen Revolution 1989, dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung.

Die Menschen sollten Einblick in ihre gestohlenen Biografien nehmen dürfen und erfahren, wann, wo und wie der Staat in ihr persönliches Leben eingegriffen hat. "Kein anderes Archiv begann mit einer Revolution", sagte Jahn. "Es hat schon millionenfach betroffenen Menschen Auskunft erteilt. Hinter jeder Akte steckt ein menschliches Schicksal, das der Opfer, das der Täter und das von Menschen, die in keine dieser Schubladen passen", erklärte Jahn. Er beobachtet, dass das Stasi-Archiv zu einem Modell geworden ist, das auch Delegationen aus anderen Ländern interessiert, etwa aus Zypern oder Albanien, aber auch aus arabischen Ländern. "Sie wollen wissen, wie man Gerechtigkeit schafft. Meine Antwort ist: Wir rechnen nicht ab, wir klären auf."

(NGZ)
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