Rhein-Kreis Neuss Projekt setzt Maßstab für Sterben in Würde

Rhein-Kreis Neuss · "Beizeiten begleiten" heißt ein Projekt, das Menschen hilft, klare Patientenverfügungen zu verfassen und deren Umsetzung zu gewährleisten. Minister Gröhe kündigt ein Gesetz an, mit dem das Pilotprojekt zum Regelfall werden soll.

 Minister Gröhe (r.) informiert sich gemeinsam mit Landrat Hans-Jürgen Petrauschke, Barbara Mandt, Prof. Dr. Georg Marckmann und Prof. Dr. Jürgen in der Schmitten(v.l.) im Lindenhof über das Projekt "beizeiten begleiten".

Minister Gröhe (r.) informiert sich gemeinsam mit Landrat Hans-Jürgen Petrauschke, Barbara Mandt, Prof. Dr. Georg Marckmann und Prof. Dr. Jürgen in der Schmitten(v.l.) im Lindenhof über das Projekt "beizeiten begleiten".

Foto: lber

Am Lebensende abhängig von Maschinen, künstlich ernährt oder unfähig selbst einen Atemzug zu tun - viele Menschen wollen das auf keinen Fall. Aber dennoch fehlt es, wenn es hart auf hart kommt, wenn Angehörige, Pfleger oder Mediziner im Notfall entscheiden müssen, wie ein Sterbenskranker behandelt werden soll, in den meisten Fällen an klar dokumentierten Anweisungen.

Nur etwa 20 Prozent der Deutschen im Rentenalter besitzen eine Patientenverfügung, die regelt, welche medizinische Behandlung sie sich am Ende ihres Lebens noch wünschen. Und selbst mit einer Verfügung bleiben oft noch Fragen. In Grevenbroicher Altenheimen ist das anders. Unter Leitung von Professor Dr. Jürgen in der Schmitten vom Institut für Allgemeinmedizin der Uni Düsseldorf wurde dort das Projekt "beizeiten begleiten" erprobt. Damit sollen für Ärzte und Pflegepersonal im Ernstfall rätselhafte, unverständliche oder auch schlicht nicht greifbare Patientenverfügungen der Vergangenheit angehören.

Für das Projekt wurden einheitliche Formulare entwickelt. Die Notfallverfügungen sollen Ärzten und Rettungssanitätern klare Auskunft geben. Hausärzte und Pflegepersonal wurden speziell geschult, um alten Menschen zu helfen, ihren Willen eindeutig zu formulieren.

Gestern informierte sich Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe im vom Rhein-Kreis betriebenen Seniorenheim Lindenhof über die dort sowie im Gustorfer Stift St. Josef gesammelten Erfahrungen. Was in den Heimen unter wissenschaftlicher Beteiligung erprobt wurde, soll im Herbst bundesweit Standard werden. Im Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Hospiz- und Palliativversorgung ist festgeschrieben, dass Krankenkassen entsprechende Leistungen in allen stationären Pflegeeinrichtungen fördern sollen. "Ich erwarte, dass das Gesetz noch in diesem Jahr verabschiedet wird", sagt Gröhe. Damit, so Jürgen in der Schmitten, wird Deutschland in der "gesundheitlichen Vorausplanung" im internationalen Vergleich vom Entwicklungsland zum Vorbild: "Wir sind das erste Land, in dem ein Programm wie ,beizeiten begleiten' zum Regelanspruch an die gesetzliche Krankenversicherung wird." Nach Einschätzung des Mediziners ist das auch dringend nötig: Nur drei Prozent aller Patientenverfügungen in Deutschland seien auch von einem Arzt unterschrieben. Die meisten Verfügungen seien ungenau. "Autonomie-Placebos", sagt in der Schmitten. Die Menschen glaubten, alles geregelt zu haben, in Wahrheit sei jedoch vieles unklar - womit die Gefahr bestehe, dass die Patientenverfügung unbeachtet bleibe. Ein Beispiel: Jemand erklärt, dass er eine künstliche Beatmung ablehnt. Vielleicht hat er erlebt, wie sich ein Verwandter unter künstlicher Beatmung über Monate gequält hat. Aber heißt das auch, dass er eine kurzfristige künstliche Beatmung, bei einer Lungenentzündung ablehnt? Die zu allgemein gehaltene Patientenverfügung nützt in diesem Fall nichts. Das Projekt "beizeiten begleiten" hilft aber nicht nur dabei, klare Worte zu finden. Ebenso wichtig ist, dass eine Notfallverfügung beim Patienten auch zu finden ist, wenn sie gebraucht wird. Dazu dienen zum Beispiel speziell gekennzeichnete Dokumentationen im Seniorenheim und - wenn nötig - auch klare Hinweise, die direkt am Krankenbett befestigt werden.

Nicht nur Wissenschaft und Politik zeigten sich gestern begeistert, auch die Praktiker im Lindenhof berichteten von positiven Erfahrungen. "Wir konnten in vielen Fällen heimliche Ängste abbauen", sagt Barbara Mandt, die Bewohner im Lindenhof in Sachen Patientenverfügung berät. Wer die Gewissheit habe, dass im Fall lebensbedrohender Krankheiten sein Wille berücksichtigt werde, könne ruhiger leben.

(NGZ)
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