Neuss Neusserin hilft Behinderten im Libanon

Neuss · Die 39-jährige Julia Benninghaus betreute einen Menschen mit Behinderung in einem libanesischen Feriencamp. Dort bekommen die Teilnehmer im Gegensatz zum Alltag in den Heimen viel Zuwendung und Aufmerksamkeit.

 Eine Woche lang kümmerte sich Julia Benninghaus im Libanon um Nasir, der das Down-Syndrom hat. Im Feriencamp des "Libanon-Projekts" erfahren Menschen mit Behinderung viel Aufmerksamkeit, die sie im Alltag nicht bekommen.

Eine Woche lang kümmerte sich Julia Benninghaus im Libanon um Nasir, der das Down-Syndrom hat. Im Feriencamp des "Libanon-Projekts" erfahren Menschen mit Behinderung viel Aufmerksamkeit, die sie im Alltag nicht bekommen.

Foto: Florian Hoensbroech

Als Julia Benninghaus das erste Mal ein Heim für behinderte Menschen in Beirut betrat, war sie schockiert: Drei Betreuer versorgten 60 Patienten, die Wohnräume waren bis unter die Decke gekachelt, die Bewohner während des Essens festgeschnallt. "Es war menschenunwürdig", sagt sie. Damals wusste sie sofort, dass ihre spontane Entscheidung, in den Libanon zu fliegen und diesen Menschen zu helfen, richtig war. Das ist mehr als 15 Jahre her. Heute ist die 39-jährige Neusserin in einer anderen Lebenssituation. Als berufstätige Mutter von drei Kindern (acht, fünf und zwei Jahre alt) konnte sie nicht, wie mit Anfang 20, einfach die Koffer packen, als sie von den Organisatoren des "Libanon-Projekts" gefragt wurde, noch einmal mitzukommen. Urlaub musste eingereicht und bewilligt, die Betreuung ihrer Kinder für eine ganze Woche organisiert werden. Doch als sie jetzt mit dem 58-jährigen Nasir, der das Down-Syndrom hat, im Feriencamp Al Fadi in den libanesischen Bergen am Lagerfeuer saß und er beim gemeinsamen Singen ihre Hand ergriff, wusste sie erneut: Es war die richtige Entscheidung.

Das "Libanon-Projekt" wurde Ende der 90er Jahre von dem Malteser Franziskus von Heereman ins Leben gerufen, der es nach einer Reise in den Libanon und dem Besuch von Behindertenheimen nicht dabei belassen wollte, betroffen zu sein. Er wollte etwas tun, ganz konkret. Neben Spendenaufrufen, um die Situation der Menschen im Alltag zu verbessern, organisierte er das erste Feriencamp und fragte Freunde und Bekannte, zu denen auch der Zwillingsbruder von Julia Benninghaus und ihr heutiger Ehemann Sebastian gehörten, ob sie mitmachen wollen. Es bedeutete für die behinderten Menschen, die in ihrer Heimat bis heute als Last oder sogar Schande empfunden werden, nicht einfach Ferien. Für sie war es eine Zeit der Zuwendung, die sie in den Heimen nicht erfahren. "Dort ist die technische und medizinische Grundversorgung der Hilfsbedürftigen gesichert, aber mehr nicht", berichtet Benninghaus. Im Feriencamp kümmert sich ein Ehrenamtler ganz exklusiv um einen behinderten Menschen - rund um die Uhr. Und dazu gehört eben nicht nur die Unterstützung bei Essen und Pflege, sondern auch vorlesen, die Organisation einer Spiele-Olympiade, ein Tag am Strand, singen am Lagerfeuer, gemeinsame Feiern der heiligen Messe. "Und ganz viel Körperkontakt", sagt die Neusserin.

Ehrenamtliches Engagement ist für Julia Benninghaus ein fester Bestandteil ihres Lebens. Nach ihrem ersten Einsatz im Libanon begleitete sie zwei Mal behinderte Menschen auf Wallfahrten nach Lourdes. Auch vor Ort in Neuss ist sie aktiv - in Projekten des Sozialdienstes katholischer Frauen für Vorschulkinder, der Aktion "Bibfit", bei der Kinder ans Lesen herangeführt werden, oder bei Benefizveranstaltungen des Fördervereins "Aktion Luftballon" der Kinderklinik am Neusser Lukaskrankenhaus. Ein wenig Zeit für diese unentgeltliche Arbeit fand die pharmazeutisch-technische Assistentin immer. "Es ist für mich wichtig, Verantwortung für Menschen zu übernehmen, denen es nicht so gut geht", sagt sie.

Deshalb musste sie zwar überlegen, als sie die Frage erreichte, ob nicht die Ehrenamtler der ersten Stunde im "Libanon-Projekt" noch einmal mitmachen wollen. Denn nicht nur die Organisation zu Hause war eine Herausforderung. "Ohne die Unterstützung der Familie wäre das nicht möglich gewesen", betont sie.

Auch die Sicherheitslage in dem Land, das an Syrien grenzt und in den vergangenen Monaten mehr als eine Million Flüchtlinge aufgenommen hat, ist nicht unkritisch. Trotzdem sagte die 39-Jährige zu - und würde es wieder tun. Nicht nur für die behinderten Menschen in den Heimen in Beirut. Auch für sich selbst. "Diese Erfahrung macht demütig und dankbar dafür, wie gut es uns geht", sagt sie. "Unser privilegiertes Leben ist nicht selbstverständlich."

(pes-)
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