Neuss Münsterorgel mit alten Pfeifen erneuern

Neuss · Münsterkantor Joachim Neugart nutzt die Grundreinigung der Münsterorgel, um ihren Ur-Zustand von 1907 wiederherzustellen. Dazu gehört der Einbau eines Registers, dessen Pfeifen 1974 versteigert wurden.

Neuss: Münsterorgel mit alten Pfeifen erneuern
Foto: Woitschützke, Andreas (woi)

Eckehard Lüdke fallen fast die Augen aus dem Kopf. Dabei hält ihm Münsterkantor etwas entgegen, das kaum zu identifizieren ist: einen länglichen rechteckigen Holzkasten mit einem trichterförmigen, ebenfalls länglichen Metallgehäuse dran. "Da schlägt die Zunge ja richtig durch", sagt Lüdke begeistert, als er sich das Holzende näher anschaut. Der Orgelbauer der Traditionsfirma Seifert in Kevelaer hat schon vieles gesehen, aber dieses Ding lässt sein Gesicht strahlen: eine Orgelpfeife, ein Fagott 8' (der kleine Strich steht für Fuß), mit einem Holzstiefel, wie der Schaft unterhalb des trichterförmigen Metallaufbaus heißt, und mehr als 100 Jahre alt. 30 Stück hat dieses Register im Pedalwerk der großen Münsterorgel mal gehabt, 1907 war es eingebaut worden, 1974 wurden die vermutlich schon viel früher ausrangierten Pfeifen versteigert.

 Münsterkantor Joachim Neugart und die beiden Orgelbauer der Firma Seifert, Günter Redepenning und Eckhard Lüdke (v.l.) begutachten die Peifen im Innern der Münsterorgel.

Münsterkantor Joachim Neugart und die beiden Orgelbauer der Firma Seifert, Günter Redepenning und Eckhard Lüdke (v.l.) begutachten die Peifen im Innern der Münsterorgel.

Foto: Andreas Woitschützke

Durch Zufall hat Neugart eine wiedergefunden. Eine Sängerin aus seinem Chor erinnerte sich an die Pfeife auf dem Dachboden, übergab sie Neugart, erzählt ihm von der Versteigerung und setzte damit bei ihm den Gedanken fest, noch mehr aufzuspüren, um am Ende wieder das komplette Register einzubauen.

"Ein ambitioniertes Unterfangen", sagt Lüdke anerkennend und nickt bestätigend, als Neugart erzählt, warum er das Fagott-Register wieder in seiner Orgel haben will: "Das gibt dem Instrument ein Alleinstellungsmerkmal, das Register wurde nur noch bis etwa 1920 gebaut." Es sei zwar ein kleines Register, aber bereichere die Orgel um ein Klangbild, das an eine Harmonika erinnere: "Es ist sehr anmutig." Und so hofft er, dass noch mehr der Original-Fagott-8'-Pfeifen auf Neusser Dachböden und in Kellern wieder auftauchen. Den fehlenden Rest will er auf jeden Fall dann nachbauen lassen.

Der Zeitpunkt für den Wiedereinbau könnte kaum idealer sein. Denn derzeit wird die Münsterorgel einer Grundreinigung unterzogen. Deswegen haben Lüdke und sein Kollege Günter Redepenning ihre Werkstatt auf der Empore aufgebaut. In zwei Abschnitten wird die Orgel von Grund auf gesäubert, denn wenn ab 16. August der "Orgelsommer" mit seinen drei Konzerten ansteht, soll das Instrument nutzbar sein. Derzeit kann Neugart nur den kleineren Teil der Orgel spielen. Für die Gottesdienste reicht es, aber für die Konzerte braucht es mehr.

Für die beiden Orgelbauer ist die Reinigung der Seifert-Orgel Routine. "Da geht es etwa im Schimmelbeseitigung an den Holzteilen", sagen sie, weniger um richtige Reparaturen. Aber jede Pfeife wird ausgebaut, untersucht, gereinigt und mit einem blauen Zettel versehen, der sagt, zu welchem Register sie gehört: Kontrabass 32', Tuba 8' oder Lieblich gedacht 8'. 1992 ist die Münsterorgel, die mit ihren 86 Registern zweifellos zu den großen ihrer Gattung gehört, zum letzten Mal gereinigt worden.

Bis zum 1. November soll die Grundreinigung abgeschlossen sein. Gut drei Monate hat sie dann gedauert, 140 000 Euro gekostet - und doch sind die Arbeiten dann noch nicht am Ende. Denn danach wird ein neuer Spieltisch eingebaut. Endlich! steht es groß auf Neugarts Stirn geschrieben, denn die Planung gibt es schon länger, aber da die Münsterorgel unter Denkmalschutz steht, waren die Absprachen nicht einfach. Auch das Erzbistum war mit im Boot, trägt schließlich 40 Prozent der Gesamtkosten, die noch mal mit 140 000 Euro zu Buche schlagen.

"Der alte Spieltisch stammt von 1948", sagt Neugart, "damals herrschten ganz andere Anforderungen." Heute geht es nicht nur um eine bessere Ergonomie, die dem Organisten zugutekommt, sondern vor allem um die Spielmöglichkeiten, die bei einem elektronisch gesteuerten Spieltisch, wie er jetzt eingebaut wird, wesentlich größer sind. "Wir können ein ganz anderes Musikprogramm anbieten", sagt Neugart begeistert, "denn mit dem neuen Spieltisch gibt es viel mehr Speichermöglichkeiten. Das Umregistrieren zwischen den Stücken, das derzeit immer noch für kleine Pausen in der Darbietung sorgt, entfällt." Und er weiß schon jetzt, dass es den Gastorganisten, die er immer wieder einlädt, leichter fallen wird, sich auf das Instrument einzustellen: "Bislang brauchte dafür jeder viel Zeit."

Nicht nur mit dem Einbau des Fagott 8' will Neugart den alten Zustand der Münsterorgel wiederherstellen. Auch das "Blendwerk" an den Seiten der Orgelempore wird rausgenommen: "Das wird den Klang noch mal deutlich verbessern", sagt er überzeugt. Das Pfeifenwerk der Münsterorgel ist links und rechts auf den Seitenemporen aufgestellt, aber damit die Orgel auch wie eine Orgel aussieht, wurden die vom Hauptschiff aus zu sehenden Emporenbögen 1948 mit Pseudopfeifen ausgefüllt. Schon mit Ende der Großreinigung wird die Sicht wieder frei sein. "Wir probieren es einfach mal ein Jahr aus", sagt Neugart, der sich in dem Punkt natürlich auch mit Oberpfarrer Guido Assmann abgestimmt hat. Zudem wird die Pseudopfeifen nicht das Schicksal von Fagott 8' ereilen: Sie werden aufbewahrt.

(NGZ)
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