Neuss Mit Gesang in den Kampf

Neuss · Zu allen Zeiten hat es Lieder gegeben, die eine Revolution begleiteten. Katharina Schmidt hat daraus einen Theaterabend im RLT gemacht: "Bella Ciao!"

 Vom Erheben der menschlichen Stimme, vom Unbehagen an dem, was ist und der Sehnsucht nach einer besseren Wirklichkeit handelt "Bella Ciao! Lieder für eine gerechte Welt".

Vom Erheben der menschlichen Stimme, vom Unbehagen an dem, was ist und der Sehnsucht nach einer besseren Wirklichkeit handelt "Bella Ciao! Lieder für eine gerechte Welt".

Foto: Björn Hickmann

Manchmal gibt es im Theater Momente, Bilder, Klänge, die man nie vergessen wird. Einer davon ist der Moment, in dem Linda Riebau zwischen Rauch und Trümmern, Feuer, Blut und Gewalt in die Stille gestorbener Hoffnung hinein ansetzt und ohne jede instrumentale Begleitung mit einer Stimme, so wundervoll frisch und klar, "Bella Ciao" singt, das Lied der Partisanen vom Tod und der Hoffnung, die trotz alledem neu aufblühen wird. Vom Erheben der menschlichen Stimme, vom Unbehagen an dem, was ist und der Sehnsucht nach einer besseren Wirklichkeit handelt "Bella Ciao! Lieder für eine gerechte Welt", ein "Agit-Pop-Abend mit Live-Musik", der jetzt im Rheinischen Landestheater eine völlig zurecht umjubelte Premiere hatte.

Weit mehr als ein Liederabend ist unter den Händen von Katharina Schmidt und ihrem Team eine eindrucksvolle Collage entstanden, die starke Bilder mit eingängigen Klängen und packenden Texten vereint und systematisch den Verlauf der Revolutionen vom Aufkeimen des Widerspruchs bis zum Scheitern in den Blick nimmt. Ein Junta-General, der mit weicher Stimme John Lennons Hippie-Hymne "Imagine" rezitiert, ist der drastische Auftakt des Abends und ein Bild, das den riesigen Abstand zwischen Realität und Hoffnung auf einen grandiosen Punkt bringt.

Bühnenbildnerin Ivonne Theodora Storm setzt die packende Collage in einen metallischen Kegel, dessen Wände mal in trist-grauen Farben einen beklemmenden Raum schaffen, der statt für Freiheit und Individualität nur Platz für die Unterwerfung aller Lebendigkeit in klamme Monotonie bietet.

Als Sprechchor, als Masse Mensch lässt Katharina Schmidt zunächst die Akteure begegnen, zeigt die Individualisierung, den Ausstieg aus dem Kollektiv und Beginn des Unbehagens. Linda Riebau, Rainer Scharenberg, Alina Wolff und Michael Großschädl gestalten mit begeisterndem Einsatz die Entwicklung des Aufstands in kleinen Spielszenen und großen Revolutionsliedern von Rio Reisers Ton Steine Scherben bis zur Marseillaise oder dem smarten deutschen Evergreen von der Freiheit der Gedanken. Ulrike Knobloch ist die personifizierte Revolution, reißt mit ihrer kraftvollen Stimme mit, ein schillerndes Wesen voller Kraft und Glanz, das am Ende - so Schmidts bitteres Fazit - von eigener Hand ein Ende findet. Roman Konieczny zieht mit seinen Videoinstallationen immer wieder überraschende Register für diese Collage der eindrucksstarken Bilder, lässt zwischen marschierenden Beinen in Endlosschleife und fliegenden Vögeln als Inbegriff der Freiheit das Chaos aus Krieg und Straßenkampf, Feuer, Blut und Sterben präsent werden. Zwischen rhythmischem Aufbruch und zarten Klängen von Trauer und Hoffnung gelingt dem musikalischen Leiter Klaus von Heydenaber ein atemberaubend packendes Arrangement von Liedern. Das Innehalten der Freiheitskämpfer mit ihrer riesigen Fahne, das vergebliche Greifen nach dem Licht und der Freiheit jenseits des Kegels, die schrecklichen Berichte von der Begegnung mit dem übermächtigen Feind: Diese Collage erzählt in ergreifenden Bildern Geschichten von Aufbrüchen und deren Scheitern an der Macht der anderen, an der Gewalt, an der eigenen Unzulänglichkeit. Und doch - so die Bilanz - bleibt nichts als Weitermachen und die Stimme zu erheben.

(NGZ)
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