Serie Adventskerzen (1) Licht wandert durch Gnadentaler Häuser

Neuss · Die Lichterzahl auf dem Kranz zeigt an, wie nah Weihnachten schon ist. In Gnadental geht eine Kerze auf Reisen. Jeden Tag steht sie in einem anderen Haushalt - in evangelischen und katholischen im Wechsel. Sie bringt die Menschen ins Gespräch.

 Evangelische und katholische Christen nehmen im Wechsel die Wanderkerze auf. Jeden Tag öffnet ihr eine neue Familie in Gnadental die Tür. Pfarrer Sebastian Appelfeller und Heidelore Harder mit der Adventskerze, die auf Reisen geht.

Evangelische und katholische Christen nehmen im Wechsel die Wanderkerze auf. Jeden Tag öffnet ihr eine neue Familie in Gnadental die Tür. Pfarrer Sebastian Appelfeller und Heidelore Harder mit der Adventskerze, die auf Reisen geht.

Foto: Woi

GnadentaL Advent. Seit Sonntag brennt sie wieder: Die erste Kerze auf den unzähligen Adventskränzen, die die steigende Erwartung auf die Geburt Christi symbolisieren. Eine ganz besondere Adventskerze wurde Sonntag in der evangelischen Kreuzkirche in Gnadental angezündet. Denn in dem Pfarrbezirk Gnadental-Erfttal-Meertal gibt es gemeinsam mit der katholischen Kirche St. Konrad eine Advents-Wanderkerze. Jedes Jahr abwechselnd verziert ein Mitglied der beiden Gemeinden die Kerze, die dann im ersten Adventsgottesdienst entzündet wird und dann auf Reisen geht.

"Jeden Tag ist diese Adventskerze bei einer anderen Familie", erklärt Pfarrer Sebastian Appelfeller, der sich mit seiner Frau Nadine die Pfarrstelle teilt. Gemeinsam mit Diakon Matthias Godde haben sie eine Liste mit Familien aus ihren Gemeinden erstellt, die die Kerze in Empfang nehmen und dann einer Familie der jeweils anderen Konfession wiederum weitergeben.

"Die Idee dahinter ist, dass sich Gemeindemitglieder besser kennenlernen in einer Zeit, die uns Christen besonders wichtig ist", so Appelfeller. Denn die Familien tauschen in der Regel nicht einfach nur die Kerzen aus. "Sie treffen sich meist auf einen Tee oder einen Punsch, reden miteinander, werden vertrauter", sagt Appelfeller.

Als er und seine Frau im März 2012 das neue Pfarrehepaar im zweiten Bezirk der evangelischen Kirchengemeinde Neuss-Süd wurden, lernten sie erst diesen seltenen, eher ungewöhnlichen Brauch kennen. "Für uns ist dieses Ritual immer noch etwas ganz Besonderes", sagt Appelfeller. "Unsere Kinder fragen immer schon, wann wir auf der Liste dran sind."

Um vor allem Kindern das Warten aufs Christkind zu erleichtern und zu verdeutlichen, wie viele Tage es noch bis zum Heiligen Abend dauert, sind vor 176 Jahren erstmals Adventskranzkerzen entzündet worden. Der Mitbegründer der Inneren Mission, Johann Hinrich Wichern, hatte 1839 den Adventskranz erfunden. Der evangelisch-lutherische Pfarrer hatte in einem alten Bauernhaus in Norddeutschland das Rauhe Haus gegründet und dort Kinder, die in großer Armut lebten, betreut. Noch heute existiert die Stiftung "Das Rauhe Haus" in Hamburg und erbringt soziale Leistungen in unterschiedlichsten Bereichen.

"Wichern baute aus einem großen Wagenrad einen Holzkranz mit 20 kleinen und vier großen Kerzen", erklärt Appelfeller. Jeden Tag der Adventszeit wurde eine neue Kerze entzündet, so dass die Kinder die Tage bis Weihnachten abzählen konnten. "Der Adventskranz ist somit eine der wenigen evangelischen Erfindungen", konstatiert der evangelische Pfarrer in Gnadental.

Da nicht jeder den Platz für ein Wagenrad hat, wurde im Laufe der Zeit daraus ein Adventskranz mit vier Kerzen. Im Rauhe Haus jedoch gibt es - wie an einigen Orten vor allem in Hamburg - nach wie vor Adventskränze, auf denen ab dem Ersten Advent für jeden Tag eine Kerze angezündet wird. In diesem Jahr sind es übrigens insgesamt 26 Kerzen, da der erste Adventssonntag noch im November war.

So viele Kerzen benötigen die katholische und evangelische Kirchengemeinde in Gnadental nicht. Denn sie haben ja ihre ganz besondere Advents-Wanderkerze. Und die ist jetzt wieder unterwegs.

(NGZ)
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