Neuss Kunst vom Vordenker der Zeitenwende

Neuss · Konzeptkünstler René Hüls geht in seine Vergangenheit zurück und erklärt damit die Zukunft.

Es hat Zeiten gegeben im Leben von René Hüls, da hätte er nie geglaubt, dass er mal Kunst studieren würde. "Ich war DJ", sagt er, "in der Techno-Szene und gehöre ganz sicher zu den Gründern im Raum Lörrach/Basel." Als DJ Blado war in den 1990er Jahren eine lokale Berühmtheit im Süddeutschen, legte in vielen Locations auf, war für seine Partys bekannt. Etliche Flyer aus dieser Zeit hat er aufbewahrt, nun sind sie Basis und Ausgangspunkt für seine erste Neusser Ausstellung, die persönliche Vergangenheit mit allgemeiner Zukunft verwebt. "Denken der Neuzeit" hat er sie betitelt, denn für den Konzeptkünstler Hüls leben wir in einem Strukturwandel vom analogen zum digitalen Zeitalter.

Das Analoge, das Handgreifliche, war viele Jahre ein bestimmendes Merkmal für Hüls' kreatives Denken, Dazu passt auch, dass er zwar den Traum von bundesweiter Berühmtheit als DJ hatte, aber seinen Eltern zuliebe eine Schreinerlehre machte. Bis zwei Dinge gleichzeitig passierten. Hüls verliebte sich, und der Kommerz holte Techno ein. "Ich wollte nichts mehr von der Szene wissen", erzählt er, aber fragte sich schon nach einiger Zeit: Was ist eigentlich mit dem Künstler in mir?

Seine damalige Freundin brachte ihm die Idee, Kunst zu studieren, nahe, aber René Hüls war sich nicht sicher: Mit Malerei oder so hatte er nichts am Hut. "Mit einer Mischung aus Entwürfen abstrakter Möbel, Musik und irgendwas habe ich mich an der Kunstakademie Nürnberg vorgestellt", erzählt er lachend. Und damit nicht nur die Professoren dort begeistert, sondern später auch Tony Cragg, der ihn an der Düsseldorfer Kunstakademie als Meisterschüler aufnahm. Vor drei Jahren ist Hüls dann nach Neuss gegangen, seine anfängliche Skepsis, nach Neuss statt wie viele andere nach Berlin oder Köln zu gehen, hat sich inzwischen komplett gelegt.

Seine erste Neusser Schau ist indes mehr als ein Stück persönlicher Vergangenheitsbewältigung, sie zeigt die Kreativität eines Künstlers, der aus alten Dingen Neues schafft. Eine kupferfarbene "Mutterplate" der Vinyl-Zeit mit der A-Seite "Republik" und der B-Seite "Utopie", einer Zeichnung vom Stier, der gerade die Europa "ent- oder verführt", wie Hüls sagt, ist ein hochaktueller Kommentar zum Zeitenwandel. Denn sie kreist auf einem Plattenteller, aber der Tonarm liegt auf der letzten Rille: Die Musik ist aus, und es gibt nur noch dieses Kratzen und Knarzen.

Ausgefräste Stücke aus Vinylplatten verbinden sich in seinen Wandarbeiten mit Zeichnungen zu fast technisch wirkenden Collagen: handwerklich perfekt und manchmal mit Hintersinn kreiert - wenn sich das "weiße Rauschen" bei genauem Hinsehen etwa aus einem Strudel an Zahlen entpuppt. Da ist es denn wieder - die Vernetzung von analogem und digitalem Leben, die Hüls auch schon mal mit einem Synonym fürs Nähen/Vernähen deutlich macht: nämlich einem überdimensionalen Fingerhut.

Wie bei fast allen Konzeptkünstlern sind die Arbeiten von René Hüls nicht einfach konsumierbar. Sie stehen für eine Entdeckungsreise in die Welt hinter dem Offensichtlichen - und bringen manche Überraschung im eigenen Denken zutage. Hüls ist ein Vordenker und macht uns zu Nachdenkern.

(hbm)
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