Neuss Kunst-Dialog zwischen Vater und Sohn

Neuss · Die Kunstinitiative "Wurzeln und Flügel" zeigt auf Schloss Reuschenberg Skulpturen und Bilder von Dietrich und Sven Rünger. Von Jazzmusik inspirierte Gemälde von Dietrich Rünger korrespondieren mit Skulpturen seines Sohnes Sven.

"Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel." Das Zitat, das sich die Kunstinitiative von Beate Düsterberg und Heinz Eissing auf die Fahnen geschrieben hat, passt besonders gut zu dieser Ausstellung, denn die Künstler "Rünger + Rünger" sind Vater und Sohn. Und doch steckt die Schau auf Schloss Reuschenberg voller spannungsreicher Gegensätze.

Dietrich Rünger arbeitet als Maler mit der Fläche; das Wirkungsfeld des Bildhauers Sven Rünger dagegen ist der Raum. Der Vater lässt sich von Jazzmusik zu abstrakten Gemälden inspirieren und verleiht einer Kunst, die in der Zeit verläuft, auf diese Weise Dauer. Der Sohn haucht als Steinbildhauer unbelebtem Marmor pralle Vitalität ein, bildet aus kaltem, hartem Material weichgerundete Wesen, in denen warmes Leben zu pulsieren scheint. Was verblüfft: Trotz dieser Differenzen ergeben Gemälde und Skulpturen ein harmonisches Bild.

Das Schlüsselerlebnis, das Dietrich Rünger 1998 auf einer USA-Reise zu dem Entschluss brachte, Jazzkompositionen in seine persönliche Bildsprache zu übersetzen, beschreibt er so: "In Chatham, auf der Halbinsel Cape Cod, zogen fast täglich fantastisch anzusehende Nebelschwaden vom Atlantik her über die Küste. Ich hörte während dieser Reise sehr oft das Tape von Kenny Burrell ,Midnight Blue'. Manchmal legte ich es extra in den Rekorder ein, während wir an der Küste parkten und dieses Naturschauspiel bewunderten und uns im wahrsten Sinne des Wortes umfangen ließen. Fragmentartig traten dann Orts- und Küstenfetzen aus dem Nebel heraus und bildeten mit den vorüberziehenden Schwaden und der Musik zusammen ein faszinierendes Gemisch aus Farben, Formen und Tönen. Von da an verfolgt mich die Idee, Bilder nach Jazzkompositionen zu malen."

Paul Klee schreibt in seiner "Schöpferischen Konfession": "Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar." Wie Dietrich Rünger in seinen Gemälden Musik sichtbar werden lässt, so macht sein Sohn Sven in seinen Skulpturen etwas sicht- und sogar greifbar, was zuvor nur denkbar war. Sein großes Thema ist das Wunder des Lebens. Und es sind Fragen wie: "Wo kommen wir her?" und "Wo gehen wir hin?", denen er sich mit Spitzeisen und Knüpfel nähert. Marmor, der Grundstoff der meisten seiner Skulpturen, entstand vor Millionen von Jahren in einer Metamorphose unter Einwirkung von Hitze und Druck aus Kalkstein, der sich wiederum aus biologischen Ablagerungen fossiler Meerestiere gebildet hatte. Indem nun der Bildhauer biomorphe Formen aus dem Stein herausschält, erweckt er das ehemals organische Material zu neuem Leben. Die stilisierten und zugleich üppig gerundeten Volumina wirken wie Geschöpfe aus einer anderen Welt.

Als Gast zeigt die junge Bildhauerin Katharina Beilstein in der Ausstellung auf Schloss Reuschenberg einige ihrer Arbeiten. Wie Sven Rüngers Steinplastiken an fremde Lebewesen gemahnen, so erinnern Beilsteins aus Lindenholz geschnitzte Skulpturen an futuristische Schuhe. Scheinen Sven Rüngers organische, runde und geschlossene Formen alles einzuschließen, so leben Beilsteins tektonische, kantige und offene Silhouetten gerade von den Aussparungen. Was ihre Schuh-Entwürfe in von Mal zu Mal kühneren Abstraktionen so spannend macht, sind die gewagten Gewölbekonstruktionen.

Der legendäre Schuh-Designer Roger Vivier hat einmal gesagt: "Ein Schuh soll beflügeln, uns in die Lüfte heben. Wer erst einmal auf Wolken geht, der wird auch andere Träume wahr machen." Womit wir wieder bei dem Namen der Kunstinitiative wären: tief verwurzelt und hoch hinaus.

(NGZ)
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