Neuss Kummerkasten-Onkel und Held der Kinder

Neuss · Mustafa Amadou kommt aus Marokko, wohnt seit 18 Jahren in Deutschland und ist der Herr des Kiosks im Flüchtlingsheim.

 Ohne ein Lachen auf dem Gesicht sieht man Mustafa Amadou selten. Er ist Sozialbetreuer in der Zentralen Unterbringungseinrichtung im ehemaligen "Alex" und für den Kiosk verantwortlich.

Ohne ein Lachen auf dem Gesicht sieht man Mustafa Amadou selten. Er ist Sozialbetreuer in der Zentralen Unterbringungseinrichtung im ehemaligen "Alex" und für den Kiosk verantwortlich.

Foto: Andreas Woitschützke

Das erste, was an Mustafa Ahmadou auffällt, ist sein Lachen. Herzlich und offen. Er kann wohl gar nicht anders, als jedem Menschen fröhlich zu begegnen. "Isch habe ein großes Herz", ist denn auch ein Satz, den der 50-Jährige gerne sagt. Da hört man auch den leichten französischen Akzent noch mit, den der gebürtige Marokkaner in der Stimme hat. Nach 18 Jahren in Düsseldorf ist zwar auch bisschen rheinischer Singsang dazugekommen, aber seine lange Zeit in Frankreich wirkt halt nach.

Google-Mustafa - so nennen ihn viele in der Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) des Landes NRW für Flüchtlinge am Alexianerplatz. Bewohner wie auch Mitarbeiter, denn Mustafa Amadou weiß alles und vor allem: Er kennt alle. Er ist die Seele des Hauses, hat seinen festen Platz gleich hinter der Pförtnerloge am Eingang. Dort ist der 50-Jährige Herr über den Kiosk, wo Süßigkeiten locken, Limonade verkauft wird und auch Waschpulver. Vor allem aber Zigaretten. "Ohne Zigaretten geht gar nichts", sagt Amadou und lacht. Der Bedarf bei den männlichen Flüchtlingen ist riesig, und Amadou sorgt dafür, dass immer genug da sind.

Dabei war der Job im Kiosk keineswegs der, den er im Sinn hatte, als er sich 2012 bewarb. Damals hatte die ZUE in Neuss gerade aufgemacht, und es wurden vor allem Sozialbetreuer gesucht. Eigentlich ist Mustafa Amadou gelernter Buchhalter. Für einen kurzen Moment, wenn er von seinen vielen erfolglosen Bewerbungen erzählt, legt sich ein kleiner Schatten auf sein Gesicht. Der aber bleibt nicht lange. Dafür geht er viel zu sehr in seiner jetzigen Arbeit auf, hat damals gleich gemerkt, dass er in der Flüchtlingsarbeit richtig ist. Er spricht Französisch, fünf verschiedene Dialekte des Arabischen, Englisch, Spanisch und Deutsch, wurde schnell für viele der Neuankömmlinge zum Helfer in allen Lebenslagen.

Als das ZUE verpflichtet wurde, auch einen Kiosk einzurichten, wurde die Frage "Wer kann das machen?" recht schnell beantwortet, weiß Tina Mohammad, die heutige Einrichtungsleiterin. Aber Amadou hat erst mal geprobt, drei Monate, und dann war klar: Er kann und will es. Seit einem Jahr steht er jetzt hinter dem Tresen des Kiosk, muss sich manchmal auch mit Händen und Füßen verständigen, aber irgendwie klappt es immer. Wie jetzt auch, als ein junger Neuankömmling Wasser kaufen will und auf die Flasche mit der farblosen Zitronenlimonade zeigt. Sein Arabisch kann Amadou nicht verstehen, aber mit einigen Englisch-Brocken macht der junge Mann deutlich, dass er eine Flasche kaufen möchte, damit er nicht für jeden Schluck von seinem Zimmer in der dritten Etage nach unten zu den Wasserbehältern laufen muss. Mustafa Amadou überlegt nicht lange, und fischt eine leere Pfandflasche aus einem Kasten, will schon auf seiner Liste die 25 Cent Pfand abhaken (und dann aus eigener Tasche zahlen), als der junge Mann ihm eine Hand voll Münzen hinhält, und Amadou sich die passende Summe rauspickt. Amadou mag Herrscher über den Kiosk sein, der auf seiner Seite vieles hat, was andere gerne haben möchten. Aber er wirkt nicht so. Für ein Kind, das für den Lutscher nur zehn Cent statt 15 in der Hand hat, ist er ein Held: Natürlich schickt er es nicht ohne Lutscher weg. "Habibi" - Onkel sagen viele auch zu ihm.

Was aber nicht heißt, dass er nicht genau Buch führt. Bei den Bestellungen der Waren sowieso, aber auch bei den "Leihgaben". Die Zeitungen (in den verschiedensten Sprachen) dürfen nur im Kiosk gelesen werden. Jeder, der sich eines der Brettspiele aus dem Regal hinter dem Tresen auslieht, wird namentlich notiert.

Eine Viertelstunde Pause leistet sich der Düsseldorfer mittags, um in der Kantine zu essen. "Mehr geht nicht", sagt er lachend, "dann steht schon wieder eine Schlange vor der Tür." Die ist natürlich abgeschlossen, und so halten sich die Wartenden an Schaufenstern fest, die mit Bastelarbeiten aus der "Kinderstube" liebevoll dekoriert ist.

Der Kiosk ist Einkaufsparadies (aber ohne Alkohol), Kummerkasten und Nachrichtenumschlagplatz gleichzeitig. Der eine beschwert sich bei Amadou darüber, dass sein Transfer so lange braucht, ein anderer schimpft, weil er glaubt, dass er zu wenig Taschengeld bekommt: "Ich versuche, jeden zu beruhigen", sagt Amadou, "meistens klappt das auch." Noch nie, so beteuert er, habe er den Sicherheitsdienst rufen müssen. Er hört zu, wenn ihm jemand seine Lebensgeschichte erzählen will, lässt sich Fotos von zurückgebliebenen oder auch toten Angehörigen zeigen, nimmt schlicht Anteil an jedem, der sich ihm öffnet. Aber er weiß auch genau, wann es angebracht ist, etwas für sich zu behalten. Vertrauen - das ist mehr als nur ein Wort.

Das Rüstzeug dafür mag ihm auch die eigene Familie geben. Drei Kinder hat er, sagt er stolz und strahlt: "zwei Töchter und einen Sohn, 18 zehn und sieben Jahre alt." Und wenn er die Geschichte vom Kennenlernen seiner Frau erzählt, nimmt sein Lachen gar kein Ende. Damals lebte er noch in Frankreich (insgesamt waren es 17 Jahre), lernte in einem Urlaub diese junge Frau kennen, die in Deutschland wohnte, aber wie er auch aus Marokko kam. "Und dann haben wir festgestellt, dass wir dort früher Nachbarn waren", sagt er - und kann sich darüber vor Lachen immer noch ausschütten.

(hbm)
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