Neuss Königliche Lehrstunde

Neuss · Andreas Spaniol überzeugt als Bertie in "The King's Speech" im RLT.

 Lionel Logue (Stefan Schleue, l.) geht mit Hilfe der Königin (Hergard Engert) ungewöhnliche Wege, um Bertie (Andreas Spaniol) das Stottern abzugewöhnen.

Lionel Logue (Stefan Schleue, l.) geht mit Hilfe der Königin (Hergard Engert) ungewöhnliche Wege, um Bertie (Andreas Spaniol) das Stottern abzugewöhnen.

Foto: Fotografie Bjoern Hickmann

Was für eine Inszenierung! Die "Standing Ovations" wollten gar nicht enden bei der Premiere von "The King's Speech" im Studio des RLT. Eine herzerwärmende Geschichte von Freundschaft, Kampf und einem Sieg über sich selbst, ein großartiges Bühnenbild, dazu grandiose Darsteller, allen voran Andreas Spaniol in der Hauptrolle - das sind die Zutaten, mit denen Regisseur Alexander Marusch ein außergewöhnliches, sehenswertes Stück gelungen ist. Eines, das vom ersten bis zum letzten Moment unentrinnbar unter die Haut geht.

Zwei ungleiche Freunde, die es nicht leicht miteinander haben, sind Lionel, australischer Sprachtherapeut mit unorthodoxen Ideen, und Bertie, britischer König mit Stotterproblem. Stefan Schleue ist frisch, authentisch, hinreißend als Lionel Logue, Selfmademan aus dem australischen Outback mit wenig Ehrfurcht vor königlicher Etikette.

Andreas Spaniol als Bertie beschert der Bühne eine Sternstunde, indem er den inneren Kampf des Stotterers für jeden Zuschauer unausweichlich spürbar macht. Er lässt mitleiden, mitzittern und schließlich den wunderbaren Triumph des Königs über sich selbst hautnah miterleben. Sensibel gelingt ihm dieser König als Mensch, der von seinen Aufgaben wie von Mühlsteinen zermahlen zu werden droht, der scheitert und doch nie aufgibt, weil es keine Alternative zum Bestehen gibt. Zerbrechlich und zart, ängstlich und tapfer zugleich: Spaniol zeigt diesen Monarchen wider Willen im furchtbaren Widerstreit mit sich und den Beschädigungen einer kalten Kindheit.

Nähe und Fokussierung sind die Zaubermittel, mit denen Marusch in seiner blitzgescheiten Inszenierung aus dieser Geschichte eines therapeutischen Triumphs ein Ereignis macht, das die Zuschauer zwischen Beklemmung und Glück jede Facette dieser emotionalen Achterbahnfahrt durchleben lässt. Dabei gibt er auch Raum für Entspannung, bietet hinreißend komische Momente, etwa wenn die Königsgattin (wunderbar britisch unterkühlt: Hergard Engert) aus therapeutischen Gründen auf dem Brustkorb des Gatten sitzt: Allein schon Engerts Blick lohnt den Abend!

Neben grandiosen Darstellerleistungen - auch von Josia Krug als schmieriger Erzbischof von Canterbury, Katharina Dalichau als eigensinnige Therapeutengattin Myrtle, Michael Großschädl als Churchill und Philipp Heitmann als Baldwin - gelingt es Achim Naumann d'Alnoncourt mit seinem erfrischend schnörkellosen Bühnenbild und seinen atemberaubenden Videoeinblendungen Maßstäbe zu setzen. Klar, bescheiden und ohne Tand setzt er Rahmen und Kontext jener Geschichte in schlichte, unmittelbar eingängige Bildsprache, ohne je die Aufmerksamkeit von der bewegenden Geschichte abzulenken.

Kann man die klamme Ohnmacht des Individuums in jener Zeit deutlicher zeigen als mit einem Spielautomaten, an dem Hakenkreuz, Hammer und Sichel, Krone und Kreuz beliebige und immer neue Konstellationen finden? Kann man die Expansion des Faschismus klarer und präziser auf den Punkt bringen als mit einer Landkarte, die das anschwellende Hakenkreuz zeigt? Das ist so präzise wie schlicht, hinreichend und einfach begeisternd. So wird das Bühnenbild zu einem bescheidenen Hauptakteur in dieser restlos gelungenen, einzigartigen und Maßstäbe setzenden Inszenierung.

TEXT: DAGMAR KANN-COOMAN FOTO: BJÖRN HICKMANN

(NGZ)
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