Interview mit Ralf Hörsken Kinderfreundlichkeit geht alle an

Neuss · Willkommensbesuche, Betreuung, genug Kinderärzte - Ralf Hörsken sagt, was für ihn eine kinderfreundliche Stadt ausmacht.

 Ralf Hörsken war vor seiner Tätigkeit in Neuss leitender Verwaltungsdirektor bei der Stadt Duisburg.

Ralf Hörsken war vor seiner Tätigkeit in Neuss leitender Verwaltungsdirektor bei der Stadt Duisburg.

Foto: lber

Herr Hörsken, würden Sie Neuss als kinderfreundliche Stadt bezeichnen?

Ralf Hörsken Ich sage es mal so, ich möchte, dass Neuss eine kinderfreundliche Stadt ist. Das ist unser erklärtes Ziel. Doch das kann nur erreicht werden, wenn wirklich alle mitwirken. Mit alle meine ich die Stadtverwaltung, die Eltern, die Kinder, die Nachbarn, die Arbeitgeber, die Kitas und die Schulen, kurz gesagt: die gesamte Stadt.

Welcher Aufgaben fallen da der Stadt zu?

Hörsken Sehr wichtige, ein Beispiel ist die Organisation der Kitas und deren Finanzierung. Neuss gehört in Nordrhein-Westfalen zu den zehn günstigsten - unter den 60 größten Städten -, was die Beiträge angeht. Politisches Ziel ist, die Elternbeiträge weiter zu senken bis hin zur Beitragsfreiheit. Denn auch die jetzigen Kosten sind für einige Eltern eine große Belastung. Ein weiteres Beispiel ist der Ausbau und die Erneuerung unserer Spielplätze. Schließlich ist Neuss eine Stadt, die wächst. Vor allem junge Familien kommen zu uns. Und da sind wir schon beim nächsten Thema: Wir müssen bezahlbaren und familienfreundlichen Wohnraum schaffen. Auch das zeichnet eine kinderfreundliche Stadt aus. Und natürlich weitere Kindertagesstätten- und OGS-Plätze.

Da scheint die Stadt doch auf gutem Weg?

Hörsken Ja, im kommenden Jahr investieren wir in OGS-Plätze fünf Millionen Euro. Zurzeit haben wir 3339 Plätze, weitere 1100 sind vorgesehen. Außerdem werden wir zunächst acht neue Kindertagesstätten bauen - wenn wir die entsprechenden Grundstücke finden.

Ist das ein Problem?

Hörsken Ja, das ist eine Herausforderung. Die Investoren haben wir. In Neuss haben wir keine städtischen Kitas, sondern arbeiten mit vielen unterschiedlichen Trägern zusammen. Die Grundstücke müssen da sein, wo die Kinder leben. Und dafür müssen auch die Nachbarn mitmachen. Auch das macht die Kinderfreundlichkeit einer Stadt aus. Für das Jahr 2015 hatten wir eine Zielquote von 43 Prozent bei der Versorgung für die unter Dreijährigen. Für 2022 liegt unsere Zielquote bei 75 Prozent. Anfang 2016 hatten wir 81 Kitas, jetzt 90 und in sechs Jahren werden es circa 120 sein.

Im nächsten Jahr wird es in Neuss die sogenannten Willkommensbesuche geben.

Hörsken Ein Projekt im Rahmen der frühen Hilfen, das ich besonders gepuscht habe. Viele Menschen, die Kinder bekommen, brauchen und suchen Hilfe und Informationen. Die Besuche in Familien mit Neugeborenen sollen eine Unterstützung sein, keine Kontrolle. Wir wollen zeigen, was es bei uns gibt, welche Ansprechpartner vor Ort da sind. Denn Kinderfreundlichkeit beginnt spätestens mit der Geburt.

Wie wird dieses Projekt umgesetzt?

Hörsken Nach dem Okay durch Jugendhilfeausschuss und Rat plant das Jugendamt gerade die Umsetzung. Da vielen Menschen der Weg zum Jugendamt nicht leicht fällt, wollen wir diese Art der Kontaktaufnahme gerne selber machen, um Hürden abzubauen. Das Jugendamt ist ein Motor, die Kinderfreundlichkeit keine Bremse.

Die Wünsche der Kinder können ja schon einmal von dem, was die Verwaltung kann und möchte, abweichen. Wie nah ist die Verwaltung denn an deren Vorstellungen?

Hörsken Wenn wir Spielplätze planen oder umgestalten, beteiligen wir die, die sie nutzen. Wir laden zum Beispiel zu Gesprächen mit dem Bürgermeister ein, um zu erfahren, was die Kinder wollen. Und ich kann Ihnen sagen, die Kinder kommen sehr gut vorbereitet in solch ein Gespräch. Das ist keine Show-Veranstaltung. Kinder sind sehr gerecht, man kann ihnen erklären, warum etwas nicht umgesetzt werden kann, wenn man eben nur ein bestimmtes Budget zur Verfügung hat, das man fair verteilen möchte. Wichtig ist, Kinder ernst zu nehmen, und zwar in jedem Alter.

Was fällt für Sie noch unter das Attribut "kinderfreundlich"?

Hörsken Sportangebote und somit der Erhalt von Sportstätten, wie beispielsweise Schwimmbäder. Aber auch genügend Hebammen und Kinderärzte. Das ist immer wieder ein Thema. Und da nützt es nichts, wenn der Verteilungsschlüssel der kassenärztlichen Vereinigung sagt, die Quote der Kinderärzte im Neusser Stadtgebiet sei erfüllt. Wir werden da immer wieder nachhaken, Eltern melden uns Bedarf.

Wo sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf?

Hörsken In der Betreuung, weil Familie heute anders funktioniert als früher. Da wurden Kinder allein innerhalb der Familie betreut. Ein Modell, das heute kaum noch existiert. Darauf müssen wir reagieren, und nicht nur wir, eine kinderfreundliche Stadt braucht auch Arbeitgeber, die das berücksichtigen und offen sind für neue flexible Arbeitszeitmodelle. Denn dass Kinder mehr als 45 Stunden in der Woche betreut werden müssen, halte ich als Pädagoge für nicht sinnvoll. Kinder haben Rechte, unter anderem auch auf ihre Eltern.

Es gibt aber Eltern, denen sind die Kita-Öffnungszeiten oft zu unflexibel.

Hörsken Wir haben genau dazu gerade eine Elternbefragung gestartet und sind gespannt auf die Ergebnisse. Vielleicht müssen Zeiten geändert werden, jedoch die Stundenzahl pro Woche und Kind wird nicht weiter erhöht. Denn sonst werden die Kitas ja schon fast zu Internaten, und das ist nicht kindgerecht.

ANNELI GOEBELS STELLTE DIE FRAGEN.

(NGZ)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort