Neuss "Ich gehe offen mit meinem Glauben um"

Neuss · Leon Sztabelksi ist Jude, hat aber auch viele Freunde aus anderen Religionen. Und bei den Neusser Hubertusschützen.

 Leon Sztabelski (68) in seinem Weinladen am Glockhammer. Der gebürtige Regensburger fühlt sich jetzt in Neuss heimisch.

Leon Sztabelski (68) in seinem Weinladen am Glockhammer. Der gebürtige Regensburger fühlt sich jetzt in Neuss heimisch.

Foto: Andreas Woitschützke

Leon Sztabelski trägt weder Kippa noch Schläfenlocken. "Ich bin Jude, aber kein orthodoxer Jude", sagt der 68-Jährige. "Gebete spreche ich auf Hebräisch, und ich versuche, zu den Feiertagen in die Synagoge zu gehen." Doch damit habe es sich schon fast, was sein Praktizieren des jüdischen Glaubens betreffe. "Weil ich als jüdisches Kind in der Schule in Hanau gehänselt wurde, hatte mich meine Mutter auf ein frommes jüdisches Internat nach Straßburg geschickt, wo wir dreimal am Tag beten sollten. Das war nicht mein Ding." Also kam der heutige Neusser Weinhändler auf eine überkonfessionelle, internationale Schule in Holland. Und fühlte sich dort viel wohler.

Rund 500 Juden leben Sztabelski zufolge heute im Rhein-Kreis. "Ins Neusser Gemeindezentrum an der Leostraße kommen aber nur etwa 50 von ihnen", berichtet der gebürtige Regensburger, der im Vorstand der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Neuss aktiv ist. "Von den alteingesessenen Neusser Juden kenne ich leider so gut wie keinen. Dabei würde ich gerne mehr über das frühere jüdische Leben hier erfahren."

Sztabelski kam 1999 durch seinen Beruf in die Quirinusstadt. "Ich war bis 2007 Direktor im Hotel ,Holiday Inn'", erzählt er. Davor hatte er schon an vielen Orten auf der Welt Station gemacht. 1947, als er drei Monate alt war, zogen seine Eltern mit ihm zurück nach Polen, um sich auf die Suche ihrer in KZs verschleppten Eltern zu machen. "Nur eine Großmutter hatte überlebt." Als er neun war, wanderte die Familie nach Israel aus. "Aber meinem Vater war es dort im Sommer zu heiß." Und so ging es vier Jahre später zurück nach Deutschland. "In Hanau eröffnete mein Vater die erste Hähnchenbraterei." Nur ein Jahr später kam er jedoch bei einem Autounfall ums Leben. "Mit 31 Jahren stand meine Mutter allein mit mir und meiner Schwester da."

Die Familie schlug sich durch. Leon Sztabelski machte eine Kellnerlehre, kam darüber ins Hotelgewerbe und baute später im Auftrag von Investoren weltweit Hotels. Er ist zum fünften Mal verheiratet - seine Frau Claudia ist Christin - und hat drei Kinder aus früheren Ehen.

"Ich gehe immer offen mit meinem Glauben um und habe viele Freunde aus anderen Religionen. Das ist überhaupt kein Problem." Zu den jüdischen Festtagen lade er nicht nur Verwandte, sondern auch Freunde ein. Ohnehin müsse jeder für sich entscheiden, wie er seinen Glauben praktiziere. "Ich zum Beispiel esse alles, was mir schmeckt. Aber in unserem Weinladen haben wir auch koschere Weine - die übrigens gleichzeitig vegan sind."

Obwohl sein Herz nach wie vor für Israel schlägt, fühlt sich Sztabelski in Neuss heimisch. "Das liegt vor allem an den Hubertusschützen", erzählt er. "Mein Schützenzug ist wie eine Großfamilie für mich, die ich nicht hatte." Trotzdem hält er Gedenktage wie den 9. November für wichtig. "Die Nachkommen müssen daran erinnert werden, was Schreckliches passiert ist. Damit es sich nicht wiederholt."

(sug)
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