Neuss Gastarbeiter prägen Stadtgeschichte mit

Neuss · Eine Ausstellung zur Geschichte der Arbeitsmigranten im Rathaus stellt auch die Frage nach dem Heimatbegriff. Entstanden ist sie mit Material aus dem Neusser Stadtarchiv. Das ermutigt Ausländervereine, ihre Bestände abzugeben.

 Gastarbeiter im Traktorenwerk IHC: Bilder aus der Arbeitswelt gehören zu den frühen Archivalien zum Thema Gastarbeiter.

Gastarbeiter im Traktorenwerk IHC: Bilder aus der Arbeitswelt gehören zu den frühen Archivalien zum Thema Gastarbeiter.

Foto: Stadtarchiv Neuss

Heimat, was ist das? Dieser Frage geht die Ausstellung "Onkel Hasan und die Generation der Enkel" nach, die bis Anfang Mai im Neusser Rathaus zu sehen ist. Sie nimmt die Generation der ersten Gastarbeiter in den Blick - und deren Nachkommen, die sich nicht mehr als Einwanderer oder Ausländer definieren. Sie sind angekommen und machen ihren Anspruch auf Mitsprache deutlich. Das spiegelt sich aber noch nicht in den Archiven wider. Die Kontaktaufnahme zu den einzelnen Gruppen sei schwierig, sagt der Neusser Archivleiter Jens Metzdorf. "Man braucht einen langen Atem."

 Gastarbeiterinnen streiken für mehr Lohn: Pierburg-Frauen machen Schlagzeilen

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Foto: Stadtarchiv

Weil sich Migranten nur zögerlich auf den Weg ins Stadtarchiv machen, kommen ihnen dessen Mitarbeiter entgegen. Ende März tagte die Arbeitsgruppe Archive beim Deutschen Städtetag in Köln, wo ein Mitarbeiter des "Dokumentationszentrums und Museums über die Migration in Deutschland" (DOMiD) dessen einzigartige Sammlung von Fotos und Dokumenten vorstellte. Doch in Neuss will man nicht auf irgendein Spezialarchiv verweisen. Solche Sammlungen müssten vor Ort entstehen, sagt Metzdorf, der dieser "Überlieferungsbildung" große Bedeutung beimisst.

In der zeitgeschichtlichen Sammlung des Archivs trägt Claudia Chehab zusammen, was über Ausländer und ihre Vereine zu Berichten und zu bekommen ist. Etwas davon ging in der Ausstellung von "Onkel Hasan" auf. Parallel dazu wächst die Sammlung der Zeitzeugenberichte. "Die Geschichte einer Stadt macht sich nicht an Akten fest, sondern an den Lebensbildern der Menschen", sagt sie. Und dazu gehört auch der Bericht einer Neusserin, die 1963 einen Türken heiratete und mit ihm in die Türkei ging. "Weil es hier so schwierig für beide war", fügt sie hinzu.

Bilder aus der Arbeitswelt waren mit das erste, was im Archiv über die Gastarbeiter aktenkundig wurde. Der Streik der Pierburg-Frauen sorgte bundesweit für Schlagzeilen. Aber schon vorher hatte man im Archiv diese Menschen in den Blick genommen. Schon in den 1960er Jahren wurde den Italienern ein eigener Beitrag im "Neusser Jahrbuch" gewidmet. Seitdem gab es viele Veröffentlichungen mit Material aus dem Archiv wie etwa über die griechische Gemeinde (1995), die Zwangsarbeiter oder - ganz auf die Gastarbeiter bezogen - der Beitrag "Vom Gastarbeiter zum Bürger mit Migrationshintergrund" (2013), zu dem auch Fotos vom griechischen Lokal in Neuss, dem "Café Olympia", veröffentlicht wurde.

Dass der Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten in den vergangenen drei Jahren Migrationsthemen ("Vertraute Fremde", "Anders sein" oder "Gott und die Welt - Religion macht Geschichte") anspricht, spielt dem Archiv indirekt in die Karten. Denn es bringt die teilnehmenden Schüler in das Haus an der Oberstraße. Metzdorf seinerseits hat den Integrationsrat aufgesucht, um auf diesem Weg das Angebot seines Hauses zu transportieren, Bestände der ausländischen Vereine dauerhaft zu archivieren und zu sichern.

Das Stadtarchiv müsse den Begriff der Stadtgesellschaft, der jetzt in aller Munde sei, nicht neu entdecken, sagt Metzdorf. Er sei gelebte Praxis, denn, so fügt er zur Erklärung mit Blick auf die Zuwanderer an: "Neusser wird man, lange bevor man Deutscher wird."

(-nau)
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