Neuss Franz Kafkas Leben als eigene Literatur

Neuss · Der Experte Reiner Stach las in der Stadtbibliothek aus dem dritten Band seiner Kafka-Biografie.

 Seit 18 Jahren beschäftigt sich Reiner Stach mit Kafka.

Seit 18 Jahren beschäftigt sich Reiner Stach mit Kafka.

Foto: salzburg

Gutgelaunt berichtete der Literaturwissenschaftler und Publizist Reiner Stach zu Beginn seiner abendlichen Lesung in der Stadtbibliothek von den Anfängen seines seit 2014 vollendeten Opus Magnum über Leben und Werk des Schriftstellers Franz Kafka. In einem Preisausschreiben gewann er als junger Mann eine Kafka-Kassette. Dass der jüdische Schriftsteller der Prager Szene ihn zeitlebens nicht mehr loslassen würde, konnte Stach damals noch nicht wissen. An diesem Abend las er aus dem dritten und somit letzten Band "Kafka - Die frühen Jahre" vor ungefähr 50 gespannten Gästen.

"Ich wollte keine Biografie schreiben, dir nur von Literaturwissenschaftlern gelesen wird", erklärte er. Der erzählerische Sound seiner Biografie folgt einem literarischen Anspruch. Dies schließt jedoch die hohe Wissenschaftlichkeit, die ausschließlich auf Fakten beruht, keinesfalls aus.

Interessant ist zudem, dass Stach sein Projekt mit einem Band über Kafkas Kindheit abgeschlossen hat. Der Grund dafür ist schnell benannt: Der Nachlass von Max Brod - enger Freund Kafkas und selbst Schriftsteller - war, als Stach seine Arbeit aufnahm, noch nicht freigegeben. Aus eben diesem erhoffte sich der Biograf jedoch wertvolle Informationen über die Kindheit und Jugend von Franz Kafka. Bis heute kann man den Nachlass jedoch nicht frei einsehen.

Heinrich Heine, ebenfalls wie Kafka Jude und promovierter Jurist, sagte über sein Leben: "Aus den frühsten Anfängen erklären sich die spätesten Erscheinungen." Glaubt man Reiner Stach, gilt dies auch für Kafka. Wegen der väterlichen Geschäfte musste dieser als kleines Kind oft (mit-)umziehen, Personal kam und ging. Seine zwei jüngeren Brüder verstarben als Kleinkinder. Dieser Mangel an Stetigkeit führte, so Stach, später zu "unglaublichen Problemen, Vertrauen in andere Menschen zu fassen."

Reiner Stach betreut übrigens auch ein Internetportal über den in Prag geborenen Schriftsteller: www.franzkafka.de. Da Kafkas Roman "Der Prozess" auch Abiturthema ist, verknüpfte Reiner Stach seine Lesung in der Stadtbibliothek mit einem Besuch im Marienberg-Gymnasium. Dessen Schülerinnen bekamen sozusagen einen Exklusiv-Unterricht in Sachen Frank Kafka und seine Werke.

Für Stach ist Kafka eine Jahrhundertfigur, aber er weiß auch, dass die Romane keineswegs leicht zugänglich sind. Doch er ist überzeugt, dass seine Texte nicht altern, sondern jung bleiben. Zumindest zeigt es sich über die Jahrzehnte, dass Kafka sich im allgemeinen Literaturkanon hält und immer wieder auch von der Bühne entdeckt wird.

(NGZ)
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