Mary Bauermeister Farben erst denken und dann malen

Neuss · Als Frau von Karlheinz Stockhausen stand die heute 82-Jährige Künstlerin Mary Bauermeister hierzulande lange im Schatten des bekannten Komponisten. Eine Ausstellung auf Schloss Reuschenberg setzt sie nun mit "Farbrausch" ins rechte Licht.

Mary Bauermeister: Farben erst denken und dann malen
Foto: Barbara Steingießer

Die Ausstellung heißt "Farbrausch". Können Sie sich an Farbe berauschen?

Mary BAUERMEISTER Ich habe jetzt ein ganzes Jahr nur farbige Bilder gemalt und konnte nicht genug kriegen. Das Typische ist die Komplementärfarbenleiste, die ich immer unten mache. Ich krieg Atem-Beglückung, wenn ich da hingucke. Wenn ich dieses Gelb mit dem Lila sehe, kann ich atmen. Ich habe das dann "Hommage an Gustav Klimt" genannt, weil es von Klimt dieses Bild der goldenen Frau gibt, das so glitzert.

Ungewöhnlich sind ja auch die im UV-Licht leuchtenden Farben und die Kimonos ...

BAUERMEISTER Mit Phosphorfarbe malte ich schon Anfang der 60er Jahre, und Kostüme habe ich bereits für die Opern von meinem Mann Karlheinz Stockhausen entworfen. Neu ist, dass ich jetzt keine fertigen Stoffe genommen, sondern auch sie gefärbt und bemalt habe.

Hatten Sie schon immer ein besonderes Verhältnis zur Farbe?

BAUERMEISTER Nachdem ich als Kind bei einem Besuch in einem Aquarium zum ersten Mal irisierende Farben gesehen hatte, habe ich gesagt: Ich möchte mir eine Farbe denken, die es nicht gibt. Ich habe die Augen zugekniffen, mir auf die Ohren gehauen und mich auf den Kopf gestellt. Doch es wollte nicht klappen. Dann wurde mir klar: Auch wenn ich diese Farbe nicht in den Kopf kriege, habe ich doch eine Vorstellung davon. Das allein ist schon toll.

Was hielten Sie als Kind von Kunst?

BAUERMEISTER Ich fand die alten Bilder langweilig. Da wurde zwar hier und da auch mal eine Blume gemalt, aber eigentlich waren es braune, grüne, durch die Ölfarben verdunkelte Landschaften. Fasziniert hat mich dagegen ein Zigarettenbilder-Album über moderne Kunst, das mein Vater hatte. Dadurch lernte ich gegenstandslose Kunst kennen. Ich konnte darin zwar nichts erkennen, aber die Bilder hatten Farbe!

Wie war denn in der Schule Ihr Kunstunterricht?

BAUERMEISTER Anfangs waren wir noch mit Rotkäppchen-Zeichnen gequält worden. Doch dann bekamen wir einen großartigen Lehrer, der Anhänger des Bauhauses war. Da hießen die Themen plötzlich "kalte und warme Farben" oder "Kampf der Formen" - grandios!

Sie haben dann in Ulm bei Max Bill studiert.

BAUERMEISTER Als ich erfuhr, dass es dort die Nachfolge vom Bauhaus gab, habe ich mich für Ulm entschieden. An eine Aufgabe bei Max Bill erinnere ich mich noch gut: Jeder sollte einen Kubus machen, ganz gleich aus welchem Material. Ich hatte Gips gewählt, der schwieriger zu bearbeiten war, als ich gedacht hatte. Als ich fast fertig war, brach mir eine Ecke ab. Da habe ich den Block in der Mitte durchgesägt und ihn auf einen Spiegel gestellt. Bill sagte nur: "Donnerwetter! Machen Sie da mal weiter."

Ihr Kölner Atelier war dann aber mehr als nur ein Atelier, oder?

BAUERMEISTER 1957 hatte ich beim WDR ein Konzert von John Cage gehört, das ausgebuht wurde. Da habe ich gesagt: "Wir müssen einen geschützten Raum haben, um dieser Musik Geltung zu verschaffen." So kam es zu den Konzerten in meinem Dachatelier in der Lintgasse. Das ist legendär. Das war der Vorläufer von Fluxus, also Neo-Dada oder Prä-Fluxus. Da ist in den zwei Jahren die Avantgarde der Welt durchmarschiert.

Da gibt es sicher viele Anekdoten zu erzählen ...

BAUERMEISTER Ein Freund von uns, der Werbegrafiker war, hatte einen vornehmen Anzug und ein schwarzes Cape. Wenn im Rathaus ein offizieller Empfang gegeben wurde, stifteten wir ihm zwei Mark fürs Taxi. Er fuhr dann vor und rauschte hinein. Am Büffet füllte er seine Taschen, die wir mit Plastikfolie ausgefüttert hatten, mit Fleisch, Fisch, Käse und Brot. Und wenn er zurückkam, hatten wir schon den Tisch gedeckt ...

Wie kam es zu Ihrem Erfolg in den USA?

BAUERMEISTER Als ich dort eine Galerie suchte, hatte ich zum Leben ein paar Cent am Tag. Das reichte gerade für Haferflocken und eine Vitamintablette. Da bekam ich ein Stipendium für das Internationale Sommerseminar der Fairleigh Dickinson University, wo Verpflegung und Material frei waren. Ich habe gearbeitet wie eine Verrückte und war dann bei der Ausstellung der Summer School am weitaus besten vertreten. Zurück in Europa, erreichte mich die Anfrage einer New Yorker Galerie, die mir einen Vertrag anbot. Ich antwortete: "Wenn ihr mir ein Ticket schickt, komme ich schneller, sonst schwimme ich."

Und dann?

BAUERMEISTER Dann ging's richtig los. Das Museum of Modern Art hat meine erste Arbeit schon aus einer Gruppenausstellung heraus gekauft. Das ging von heute auf morgen. Ich war auch sehr beliebt bei den amerikanischen Künstlern, weil ich keinem etwas genommen habe. Ich kam ja nicht als Pop-Art-Künstlerin rüber, sondern machte etwas völlig Neues.

BARBARA STEINGIESSER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(NGZ)
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