Neuss Erinnerungen an das "Chinesen-Veedel"

Neuss · Heute treffen sich ehemalige und aktuelle Bewohner des Kolpingviertels in der "Deutschen Scholle" und tauschen Anekdoten zum Viertel aus. Seit 17 Jahren ist Dieter Denecke einer der Organisatoren.

 Sie freuen sich auf das Treffen im "Chinesen-Veedel", dessen Namensgebung nicht eindeutig geklärt ist (v.l.): Dieter Denecke, Monika Klaus, Peter Kaemmerling und Fridel Neukirchen.

Sie freuen sich auf das Treffen im "Chinesen-Veedel", dessen Namensgebung nicht eindeutig geklärt ist (v.l.): Dieter Denecke, Monika Klaus, Peter Kaemmerling und Fridel Neukirchen.

Foto: Georg Salzburg

Wie das Quartier, das seit rund 30 Jahren als Kolpingviertel bekannt ist, zum Namen "Chinesen-Veedel" kam - dazu gibt es viele Theorien und Erklärungsversuche. Fakt ist, dass die Menschen, die in dem gut hundert Jahre alten Wohngebiet zwischen Further-, Römer- und Fesserstraße leben, ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl prägt. Und das offenbar bis in die Gegenwart.

Heute Abend um 18 Uhr jedenfalls kommen sie zum "Chinesen-Veedel"-Treffen in die "Deutsche Scholle": derzeitige und ehemalige Bewohner des Viertels. Neben Tanzmusik und Tombola haben die Organisatoren Monika Klaus und Dieter Denecke einen Unterhaltungskünstler engagiert. Doch auch abseits des Programms werden sich die Besucher viel zu erzählen haben. "Vor allem während der Sanierung in den 1980er Jahren sind einige aus dem Viertel weggezogen, die seither in Reuschenberg und Weckhoven, in Dormagen, Mönchengladbach oder Langenfeld wohnen und heute Abend herkommen, um ehemalige Nachbarn zu sehen", erzählt Dieter Denecke, der seit 17 Jahren im Vorbereitungsteam mitarbeitet. Um die 80 Zusagen hat er bereits erhalten. "Manche melden sich aber auch gar nicht an und kommen einfach so", sagt Denecke, der sich auch über die Teilnahme Neuzugezogener freut.

Mitte der 1990er Jahre luden Conny Neskes, Hans Hellingrath und Peter Kemmerling zum ersten "Chinesen-Veedel"-Treffen ein. Schon damals fand es in der "Deutschen Scholle" statt. "Zwischendurch sind wir auf einen anderen Treffpunkt ausgewichen, jetzt aber wieder dorthin zurückgekehrt, wo alles angefangen hat", sagt Denecke. Er ist ein echter "Chinese": 1955 an der Gotenstraße geboren, wohnt er heute im älteren Teil der Römerstraße; Oma und Tante lebten in der Nachbarschaft. Denecke ist stolz auf das Viertel, verweist auf die (lokale) Prominenz, die aus dem Quartier stammt: "Zwei Neusser Schützenkönige, Spieler des VfR, Ringer und Radfahrer", zählt er auf. Das Wir-Gefühl sei in seiner Kindheit bombig gewesen, erinnert er sich. "Wir Kinder haben Fußball gespielt, die Nachbarinnen haben sich mit frischem Gemüse aus dem Garten oder ein paar Eiern ausgeholfen."

Dennoch denkt Denecke daran, sich aus der Organisation der Chinesen-Veedel-Treffen zurückzuziehen. "Es wäre schön, sich auch mal mit einigen der älteren Leute an die Theke stellen und erzählen zu können. Dazu komme ich aber kaum", begründet er dies.

2010 feierte das Kolpingviertel sein hundertjähriges Bestehen. Trotz starker Kriegsschäden blieb das Quartier als bauliches Ensemble weitgehend erhalten. Wegen des hohen städtebaulichen Wertes entschloss sich die Gemeinnützige Wohnungs-Genossenschaft (GWG) zu einer umfangreichen Sanierung, bei der die Wohnungen modernisiert, das historische Erscheinungsbild aber erhalten beziehungsweise wieder hergestellt wurde. Allein zwischen 1980 und 1988 wurden 468 Wohnungen im Kern des Kolpingviertels saniert, aber noch bis 1993 modernisierte die GWG ihre Bestände in benachbarten Straßen.

Die Bezeichnung "Chinesen-Viertel" wird gelegentlich darauf zurückgeführt, dass dort Arbeiter, Vertriebene, kinderreiche Familien und sozial Schwache lebten - Menschen, die auf das Bürgertum exotisch wirkten. Dieter Denecke erfuhr jetzt eine weiteren Version, die im zeitlichen Umfeld des chinesischen Bürgerkriegs 1946 anzusiedeln ist, in dem auch Deutsche gekämpft hätten: Dieser Anekdote zufolge seien die Väter von ihrer Schicht beim Schraubenhersteller Bauer & Schaurte nach Hause gekommen und hätten angesichts der vielen spielenden Kinder auf der Straße ausgerufen: "Das ist hier ja schlimmer als in China."

(NGZ)
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