Neuss Einblick in eine abgeschlossene Welt

Neuss · Catharina Fillers gelingt am Rheinischen Landestheater die erfolgreiche Inszenierung des Romans "Supergute Tage". Michael Großschädl gibt darin überzeugend Einblick in die "sonderbare Welt des Christopher Boone".

 Versuch einer Annäherung: Christopher Boone (Michael Schädel, hier mit Hergard Engert) lebt in seiner eigenen Welt.

Versuch einer Annäherung: Christopher Boone (Michael Schädel, hier mit Hergard Engert) lebt in seiner eigenen Welt.

Foto: Björn Hickmann/Stage Picture

Nicht wenige Zuschauer werden sich vor dieser Premiere gefragt haben: Geht so etwas auf der Bühne? Der eine oder andere wird sich auch über Asperger-Autismus informiert haben, bevor er sich auf den Weg ins Rheinische Landestheater machte. Denn "Supergute Tage oder die sonderbare Welt des Christopher Boone" ist die Geschichte eines 15-Jährigen mit dieser Behinderung. Und es ist die Geschichte der Menschen, die lebenslang mit ihm Umgang haben (müssen).

Um es vorweg zu sagen: Ja, es geht - in der Neusser Inszenierung von Catharina Fillers. Der Anfang indes ist recht sperrig. Sieben Personen befinden sich in einem fast leeren Raum. Nur ein paar rot leuchtende Stehrahmen, fünf große und fünf kleine bilden die Kulisse. Und nur eine der Personen ist ein Darsteller, die anderen sind vorläufig Figuren.

Der Schauspieler Michael Großschädl führt ein in die "sonderbare Welt", in der er sich gut zwei Stunden lang als Christopher Boone bewegen wird. Als dann noch ganze Passagen aus der Romanvorlage gelesen werden, spricht kaum mehr etwas gegen einen anstrengenden Abend. Doch dann werden die Zuschauer auf fulminante Weise überrascht und bis zum Schluss in Atem gehalten.

Mark Haddons Roman, 2003 erschienen, wurde ein internationaler Bestseller. Der britische Autor arbeitete vorher mehrere Jahre lang mit geistig und körperlich behinderten Menschen. Sein Romanheld Christopher Boone lebt gemeinsam mit seinem Vater in einer Kleinstadt. Er kennt zwar alle Länder der Welt und ihre Hauptstädte auswendig. Aber er ist noch nie allein weiter als bis zum Ende der Straße gegangen, er ist noch nie in eine U-Bahn oder einen Zug gestiegen, und er verträgt keinerlei Veränderungen seines Tagesablaufs. Christopher Boone kann die Gefühle anderer Menschen nicht deuten und gerät im Umgang mit ihnen schnell in Panik. Die Romanhandlung setzt ein, als der Junge einen toten Hund entdeckt, in dessen Körper eine Mistgabel steckt.

Der etwas hölzern wirkende Beginn erweist sich als störungsfreie, quasi ideale Welt des Autisten Christopher Boone. Hieraus entwickelt Catharina Fillers spannende Szenen, die den Zuschauer zum geistigen Mitspieler machen. Die sechs Figuren neben dem Hauptdarsteller leben jetzt auf als Nachbarn, Polizisten, Pfarrer und Lehrer. Und als überforderte Eltern, an deren täglichem Umgang mit den Verhaltensmustern eines autistischen Sohns ihre Ehe zerbricht.

"Das ist höhere Mathematik", heißt es gemeinhin, wenn man ein komplexes Phänomen nicht versteht. Genau darum geht es bei diesem Jungen Christopher. Mathematik oder gar Astrophysik halten seine geistige Welt in glücklichen Bahnen, solange die Welt des Alltags keine Störung verursacht. Einfach großartig ist die darstellerische Leistung von Michael Großschädl in der Rolle Christophers. Immer wieder zwingt sein asoziales Gebaren zu der Frage, wieviel Egoismus in diesem Autismus stecken könnte. Doch wer findet schon Trost im Aufsagen von Primzahlen, für wen sind fünf rote Autos in einer Reihe allen schon die Garantiezeichen eines superguten Tages?

Neben dem Buch, aus dem am Anfang gelesen wurde, gibt es ein zweites. Es ist das von Christopher aufgeschriebene Protokoll einer geplanten Detektivarbeit zur Aufklärung des Hundemords. Nicht wenige Stellen in diesem Buch könnten sich decken mit einem dritten, dem Regiebuch des vom Publikum begeistert aufgenommenen Theaterabends.

(NGZ)
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