Neuss Ein Makler seines eigenen Romans

Neuss · Der Schriftsteller Guntram Vesper eröffnete mit einer Lesung aus seinem 1000 Seiten starken Buch "Frohburg" den Literarischen Sommer - nicht nur in der Neusser Stadtbibliothek, sondern gleich für alle neun beteiligten Städte.

 Guntram Vesper (l.) las aus seinem preisgekrönten Roman und Bibliothekschef Alwin Müller-Jerina stellte die Fragen. Beides ergab einen schönen Einblick in die Arbeit des Autors.

Guntram Vesper (l.) las aus seinem preisgekrönten Roman und Bibliothekschef Alwin Müller-Jerina stellte die Fragen. Beides ergab einen schönen Einblick in die Arbeit des Autors.

Foto: Andreas Woitschützke

Der 17. Literarische Sommer feierte seinen Auftakt in der Neusser Stadtbibliothek - und dort wird auch in zwei Monaten, am 7. September, auch das Ende dieses deutsch-niederländischen Literaturfestivals stattfinden. Der Schriftsteller Matthias Nawrat wird dann - allerdings zeitgleich mit seinem niederländischen Kollegen Ernest van der Kwast, der in Aachen zu erleben sein wird - lesen. Nicht ohne Stolz verweist der Programmleiter des des Festivals, der Neusser Bibliothekschef Alwin Müller-Jerina, darauf, dass von den beinahe 30 Leseterminen mehr in Neuss stattfinden als im großen rechtsrheinischen "Nachbardorf".

Als erster Autor war jetzt Guntram Vesper zu Gast, dessen Roman "Frohburg" im Frühjahr dieses Jahres den Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen hat. Vesper war mit seiner Frau gekommen und las tatsächlich unter anderem jene Stelle des autobiographischen Romans, in der sich die beiden kennenlernten.

Überhaupt kam der Schriftsteller als sehr sympathischer, ehrlicher Makler seines Werks "rüber" im Saal der Bibliothek. Wenn man bedankt, dass auf einen derart renommierten Preis in der Regel monatelange Lesereisen durch die ganze Republik folgen, dann wirkte dieser Abend gleichwohl wie eine einmalige Begegnung mit dem Publikum.

Ist das 1000-Seiten-Buch "Frohburg" mit seiner monumentalen Mischung aus Erinnerungen, familiär Überliefertem, Recherchiertem, Angelesenem und Ortsbegehungen ohne Kapitelaufteilung überhaupt ein Roman? Gleichsam als Deutungshoheit hat Vesper seinem Werk eine Zeile aus Fontanes "Meine Kinderjahre" vorangestellt: "Für etwaige Zweifler also sei es ein Roman". Dieser behaupteten Selbstsicherheit steht Guntram Vespers persönlicher Auftritt in Neuss entgegen. Der 1941 in der sächsischen Kleinstadt Frohburg geborene, später mit seiner Familie in den Westen geflohene Autor gab sich eher als ein Zweifler.

Als er mit dem Schreiben seines "opus magnum" begann, vor circa sieben Jahren, schaffte er jeden Tag fast eine Druckseite. Aber dann folgte die Unsicherheit: "Die ersten 15 Seiten habe ich ein halbes Jahr lang fast jeden Tag noch mal auf den Bildschirm geholt und immer wieder geändert. Jetzt gibt es dort immer noch eine Stelle, die mir nicht gefällt."

Vesper las eine gute Stunde lang. Ausgewählt hatte er eher kurze Abschnitte, nicht die großen "Schleifen", die das Voluminöse der Erzählung ausmachen. Szenen aus dem Krieg mit reichlich Unmenschlichem, die Sehnsucht des jungen Mannes nach bibliophilen Kostbarkeiten, Kontakte zu Schriftstellerkollegen.

Danach wollte Alwin Müller-Jerina wissen, wie der 75-Jährige mit seiner plötzlichen Berühmtheit zurechtkommt. Immerhin sei das Buch, das er in der Hand hielt, bereits die zweite Auflage mit bis zu 20 000 Exemplaren. Da reckt sich plötzlich eine Autorenhand und zeigt stolz vier Finger: "Inzwischen sind es bereits vier Auflagen!" Als sein Buch es auf die Leipziger Shortlist schaffte, hätte er sich besonders gefreut, weil es damit "aus dem Meer der Neuerscheinungen" herausragte. Und dann der erste Preis. "Ich war total überrascht, hatte keine Rede parat, nur 'herzlichen Dank'. Nach dem ersten Glas Sekt konnte ich aber ziemlich locker vor die Kameras und Mikrophone treten", sagte Guntram und zwinkert seiner Frau zu. Und beide lachten.

(NGZ)
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