Serie Chancen Für Flüchtlinge Und Gesellschaft Ein kleiner Schritt zurück zur Normalität

Neuss · Aufgrund fehlender Perspektiven mussten Ndricim Dedja und Blerim Hatija ihre Heimat verlassen. Nun arbeiten sie im Baubetriebshof.

Als Ndricim Dedja die vergangenen Monate in Erinnerung ruft, kämpft er mit den Tränen. "Wer verlässt denn schon freiwillig sein Heimatland?", fragt der 45-Jährige. Dedja hatte keine andere Wahl. Anfang des Jahres verließ er mit Frau und Tochter (13) Albanien. "Dort gab es einfach keine Perspektive mehr für uns", sagt Dedja. In Deutschland, genauer gesagt in Kaarst, hat er eine neue Perspektive bekommen. Seit Anfang des Jahres arbeitet er auf dem Baubetriebshof der Stadt. Eine Tätigkeit, die auf Bürokratendeutsch "Arbeitsgelegenheit nach dem Asylbewerberleistungsgesetz" genannt wird.

Blerim Hatija teilt das Schicksal seines Landsmanns. Der 30-Jährige ist seit sieben Monaten in Deutschland, reiste von Albanien mit der Fähre ins italienische Bari, von Bari weiter mit dem Zug nach Mailand, von Mailand mit dem Bus nach Verona, von Verona per Zug nach München, von München nach Dortmund - von Dortmund nach Kaarst. Seine Frau Arjola und seine kleine Tochter Amanda (5) begleiteten ihn auf der dreitätigen Reise.

"Ich habe in Griechenland zehn Jahre als Fliesenleger gearbeitet, doch wegen der Krise musste ich zurück nach Albanien. Dort gibt es kaum eine Chance, zu überleben", sagt der 30-Jährige, der mit seiner Familie in einer Wohnung an der Ludwig-Erhard-Straße untergebracht ist. Acht Stunden täglich arbeiten Ndricim Dedja und Blerim Hatija auf dem Baubetriebshof, 40 Stunden pro Woche - für einen Stundenlohn von 1,05 Euro. Eingesetz werden die beiden dort, wo sie gebraucht werden.

2015 brachte die Stadt den Stein ins Rollen für das Projekt "Integration durch Arbeit". "Wir haben überlegt, wie wir Unterstützung leisten können", sagt Bürgermeisterin Ulrike Nienhaus. Neben den beiden Arbeitsplätzen auf dem Baubetriebshof gibt es drei weitere Jobs für Kaarster Flüchtlinge - Tätigkeiten im Bereich der Hausmeisterunterstützung. "Es soll eine Arbeit sein, die die Flüchtlinge auch ausüben können - und die sie nicht gefährdet", sagt Nienhaus. 75 Bewerbungen hat Susanne Enkel, für die psychosoziale Betreuung von Flüchtlingen in Kaarst zuständig, in der Warteschleife. 25 der Bewerber haben bereits in verschiedenen Bereichen hospitiert. Laut Enkel seien vor allem Sprachkenntnisse von großer Wichtigkeit. "Ein Grundverständnis muss da sein. Integration funktioniert nur, wenn man sich an einem gewissen Punkt trifft. Sonst würden wir nur Steine in den Weg legen", sagt sie. Rund 750 Flüchtlinge sind derzeit in Kaarst untergebracht. Viele davon zeigen laut Enkel Bereitschaft, arbeiten zu wollen. Den meisten ginge es einfach darum, wieder einen strukturierten Alltag zu haben - ein Stück zurück zur verloren gegangenen Normalität.

Alle Asylsuchenden werden darauf aufmerksam gemacht, eine Bewerbung abgeben zu können. Doch ohne das nötige Engagement stehen die Chancen auf eine Beschäftigung schlecht. "Selbstständigkeit ist gefragt", sagt Enkel, die bei Bewerbungsgesprächen mit Flüchtlingen bereits kuriose Dinge erlebt hat: "Manche kommen mit Jogginghose zum Gespräch oder spielen währenddessen mit ihrem Handy. Diese Menschen werden jedoch nicht aufgegeben, sondern erhalten ein Bewerbungstraining."

Laut der Bürgermeisterin soll es nicht bei den aktuell fünf Jobs für Flüchtlinge bleiben. "Wir beobachten das, und wenn wir die Möglichkeit haben, neue Jobs zu schaffen, werden wir das angehen", sagt Nienhaus.

(NGZ)
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