Neuss Ein Hauch "literarische Weltgeschichte"

Neuss · Im neuen Jahrbuch Novaesium gibt es wieder Beiträge zu Stadt- und Kunstgeschichte in Neuss. Darunter ist auch ein Beitrag über Dora Diamant, die letzte Geliebte von Schriftsteller Franz Kafka. Denn eine Weile war sie Neusserin.

 Das Ensemble des Rheinischen Städtebundtheaters, Vorgänger des heutigen Landestheaters, im Jahr 1928 vor einer Gastspielreise.

Das Ensemble des Rheinischen Städtebundtheaters, Vorgänger des heutigen Landestheaters, im Jahr 1928 vor einer Gastspielreise.

Foto: Stadtarchiv Neuss

Es war ein kurzer Besuch, ein Jahr nur war diese etwas mysteriöse Frau in Neuss, doch er war Anlass genug, darüber zu schreiben. Dora Diamant war immerhin die letzte Geliebte Franz Kafkas. Sie lernte den Schriftsteller im Ostseebad Müritz kennen, verbrachte mit ihm sein letztes Jahr, bevor er 1924 starb. Bis zuletzt hatte sie sich um Kafka gekümmert. Wenige Jahre später dann führt sie ihr Lebensweg ins Rheinland, wie im neuen Neusser Jahrbuch Novaesium zu lesen ist.

Diamant (jiddisch: Dymant) wollte Schauspielerin werden, schon Kafka soll sie dabei unterstützt haben. Sie nahm private Schauspielstunden in Berlin, Vorsprechen dort scheiterten aber. 1926 wurde sie dann an der Düsseldorfer Hochschule für Bühnenkunst angenommen - damals eine der renommiertesten Schauspielschulen Deutschlands. Als ihre Ausbildung 1928 dem Ende zuging, bewarb sich Diamant in Berlin und Hamburg - und scheiterte. Dann also Neuss: Das Rheinische Städtebundtheater galt als ambitioniert. Es besorgte ihr eine Wohnung in der Kanalstraße 59, wo sie im Oktober 1928 einzog.

Eine Studienkollegin aus Düsseldorf erinnert sich an die Dora Diamant dieser Zeit als "eine Persönlichkeit", die meist dunkel gekleidet durch die Straßen lief und viel über Kafka redete. Mit dem Theater war Diamant in den kommenden Monaten viel auf Reisen. Aufführungen von Kleve bis Wanne-Eickel standen auf dem Plan. In nur einem Jahr trat Diamant mit dem Neusser Ensemble mit über einem Dutzend Stücken auf, von Schiller bis Shakespeare und von Lessing bis Lunatscharski. Doch sie bekommt bis auf wenige Ausnahmen nur Nebenrollen. Am 1. Juni 1929 meldet sie sich aus Neuss ab und geht nach Berlin.

 Schauspielerin Dora Diamant um das Jahr 1928.

Schauspielerin Dora Diamant um das Jahr 1928.

Foto: Stadtarchiv

"Es war bisher nicht bekannt, dass Kafkas Geliebte in Neuss war", sagt Stadtarchivar Jens Metzdorf, der auch einer der Herausgeber des Novaesiums ist. Durch sie berühre die "literarische Weltgeschichte" die Stadt Neuss. Im Jahrbuch finden sich neben dem "Fundstück" zu Kafkas Geliebter wieder viele weitere Aufsätze zur Neusser Stadt- und Kunstgeschichte. In einem Essay beschäftigen sich Kulturdezernentin Christiane Zangs und Deniz Elbir, Referent für Interkultur, mit der Frage "Was kann Kultur leisten, um Kulturen zu verbinden?". Andere Beiträge behandeln die Geschichte hinter den Abrissarbeiten am Meererhof, die Porträts von Neusser Persönlichkeiten im Clemens-Sels-Museum, die Ablehnung der Schenkung an eben jenes, oder das Leben des 2017 verstorbenen Sammlers Volker Kahmen. Der Stadtarchivar selbst hat für das Buch die 775-jährige Geschichte seines Archivs aufgeschrieben. Das wichtigste Dokument dafür gibt es zum Glück noch: Die Urkunde mit der ersten Erwähnung hatte den Einsturz des Kölner Stadtarchivs überlebt.

(mre)
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