Neuss Ein Erzähler stellt die Machtfrage

Neuss · Der deutsche Schriftsteller Ilija Trojanow hat die Entwicklung seines Geburtslandes Bulgarien in "Macht und Widerstand" zu einem Roman verdichtet. Morgen liest er beim Literarischen Sommer in der Stadtbibliothek.

Neuss: Ein Erzähler stellt die Machtfrage
Foto: Thomas Dorn

Noch in der vergangenen Woche war er am Niederrhein. Fünf Tage lang und hat dabei nichts anderes getan, als mit den Übersetzern seines Romans "Macht und Widerstand" zu sprechen: Neboja Barac (Serbisch), Ljubomir Iliev (Bulgarisch), Jacob Jonia (Dänisch), Maryam Moayedpour (Persisch), Melike Öztürk (Türkisch) und Josephine Rijnaarts (Niederländisch).

Von Wien aus, wo er lebt, ist der Schriftsteller Ilija Trojanow nach Straelen gefahren, wie immer mit dem Zug, um beim 14. Atriumsgespräch des Europäischen Übersetzer-Kollegiums auch über die übersetzerischen Schwierigkeiten zu reden. "Satz für Satz sind wir durchgegangen", sagt Trojanow, für den dieses Treffen auch ein sehr reiches war: "Im Gespräch mit den Übersetzern entwickelt man als Autor einen Lupenblick, der dann auch beim Schreiben hilft." So habe man ihn darauf hingewiesen, dass er in seinem Roman viele Neologismen benutze: "Was ich aber gar nicht merke." Für Übersetzer hingegen ist es nicht einfach, für seine deutschen sprachlichen Neuschöpfungen adäquate Begriffe in der anderen Sprache zu finden.

Der 1965 in Bulgarien geborene Autor steht noch ganz unter dem Eindruck seiner Diskussionen mit den sechs Übersetzern. "Die beste Kritik ist die genaue Nachfrage", sagt er und begründet das auch: "Als Autor hat man Assoziationen im Kopf, aber weiß gar nicht, ob die beim Leser auch funktionieren." Also wäre es doch gut, wenn man seine Werke vor der Veröffentlichung testen könnte? "Ja", sagt er und lacht, "das wäre ideal." Aber geht natürlich nicht. Also verlässt er sich auf seine ersten Leser: seine Ehefrau und seine Lektoren.

Mit der Einladung nach Straelen steht Trojanow in einer Reihe mit prominenten Kollegen: Vor ihm waren schon Autoren wie Uwe Tellkamp, Günter Grass oder Sibylle Lewitscharoff dort zu Gast. Immerhin heißt es in der Beschreibung des Atriumsgespräch: "In Kooperation mit der Kunststiftung NRW hat das Europäische Übersetzer-Kollegium im Dezember 2007 eine internationale Veranstaltungsreihe initiiert, in der zweimal jährlich herausragende deutschsprachige Autorinnen und Autoren jeweils über mehrere Tage mit ihren ausländischen Übersetzern am aktuellen Werk arbeiten." Trojanows Roman wird dabei als sein "Lebensbuch" bezeichnet. Ein Ausdruck, der auch aus seiner Sicht trifft, was er in jahrelanger Arbeit zusammengetragen hat.

In "Macht und Widerstand" erzählt er an zwei Menschen, dem Anarchisten Konstantin und seinem politischen Verfolger Metodi, die Geschichte Bulgariens zwischen Ende des Zweiten Weltkriegs und 2007. Eine langjährige Recherchearbeit liege dem Buch zugrunde, sagt Trojanow, viele Gespräche mit Opfern des kommunistischen Regimes und ehemaligen Stasi-Offizieren. Das hat er zu einem Roman verdichtet, der zugleich Dokumentationscharakter hat. Er sieht sich als "Jäger und Sammler", sagt er schmunzelnd. Das Gefundene in diesem Fall trat auf den "grundsätzlichen schreiberischen Impuls", Fragen zur Macht nachzuspüren: "Was ist Macht? Woher kommt sie? Wann geht sie?" Und noch eine Frage hat die Arbeit an seinem Roman beeinflusst: "Wie geht die Gesellschaft nach einer großen Veränderung mit der Vergangenheit um?" Nur so, ergänzt er, könne aus Schilderung persönlicher Erlebnissen eine literarische Reflexion werden.

Trojanow, der als Sechsjähriger mit seinen Eltern nach Deutschland kam, in Kenia aufwuchs, in Paris studierte und auch in Indien lebte, hat sein Geburtsland erst nach dem Zusammenbruch des Ostblocks wieder besucht und seine Recherchen sozusagen als befangener Beobachter zusammengetragen.

(hbm)
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