Neuss Die zwei Seiten des Hamlet

Neuss · Das Flute Theatre zeigt im Globe eine reduzierte Fassung des Dramas.

 Hamlet (Mark Arends) hat das erste Mal getötet und macht Gertrude (Kelly Hunter) und ihrem Zukünftigen Claudius (Greg Hicks) Angst.

Hamlet (Mark Arends) hat das erste Mal getötet und macht Gertrude (Kelly Hunter) und ihrem Zukünftigen Claudius (Greg Hicks) Angst.

Foto: Christoph Krey

Kann es wirklich sein, dass ein Mann seinen eigenen Bruder ermordet, die Witwe heiratet und sich auf den Thron setzt? So weit denkt Hamlet noch nicht, aber es rumort in ihm. Er willigt zwar ein, mit dem Paar aufs Schloss zu ziehen, aber er spürt, dass an der bevorstehenden Hochzeit seiner Mutter Gertrude mit seinem Onkel Claudius etwas nicht stimmt. Oder ist er einfach nur überempfindlich? Doch plötzlich bricht sie über ihn herein - die Erkenntnis vom Brudermord.

Ob sie wahr oder nur eine vermeintliche ist, lässt Kelly Hunter in ihrer Lesart des "Hamlet" zunächst noch offen. Der Dänenprinz scheint selbst nicht zu begreifen: Wer ist es, der da aus ihm spricht? Ihm von der Ermordung erzählt und den Auftrag zur Rache erteilt? Ähnlich puristisch wie einst Peter Brook die Hamlet-Geschichte in seiner legendären Inszenierung "Qui est là?" erzählt hat, geht sie mit dem Drama um - und sogar noch einen Schritt weiter. Auf ihrer Bühne gibt es keinen Geist des Vaters, sie macht ihn zum Teil von Hamlet selbst. Als ob seine Persönlichkeit sich spaltet: hier der junge Mann, der eigentlich nur leben und lieben (nämlich Ophelia) will, dort der unruhige Mensch, der mit sich selbst nicht klarkommt. Für das Flute Theatre hat Hunter eine Fassung eingerichtet, die das Drama um den Dänenprinzen auf wenige Personen, die Nacht vor der Hochzeit in einem unbestimmten Heute und auf 90 Minuten konzentriert.

Hamlet, Gertrude, Claudius, Ophelia, ihr Bruder Laertes und ihr Vater Polonius sowie ein Totengräber - mehr Personal gibt es nicht an Hunters königlichen Hof. Sofa, Schlagzeug und Tücher sind die einzigen Requisiten, mit denen wirklich gespielt wird. Das ganze Gewicht der Inszenierung lastet auf den Schultern der Darsteller. Allen voran auf denen von Mark Arends, der den Hamlet spielt.

Alles an ihm ist in Spannung. Bis zu den Zehen an den nackten Füßen ist ihm anzumerken, dass er ein Getriebener wie auch ein Bedrängter ist. Bilder und Worte sind es, die in seinem Kopf stecken, herausdrängen und ihn in einen Racheplan treiben, der am Ende nur den Totengräber am Leben lässt. Nicht nur Dänemark ist ihm ein Gefängnis, er selbst ist es, und er findet keinen Weg heraus. Und so tötet er. Auch wenn er wie bei Ophelia und seiner Mutter nicht mal Hand anlegt.

Mark Arends spielt packend und präzise einen Menschen, der - auch wenn er wollte - nicht zurückkann. Der zwar erkennt, auf welchem Weg er ist, aber davon abzuweichen nicht mehr vermag. Spätestens als er erfährt, dass er Ophelia in den Tod getrieben hat, wird ihm das bewusst. Da bleibt auch ihm nur noch der Tod.

Zweifellos dominiert Arends das Spiel in Hunters Lesart, aber auch alle anderen erfüllen ihre Rollen mit Bravour. Hunter wandelt ihre Gertrude von der unbeschwerten zur erschüttert-hilflosen Mutter, Greg Hick seinen Claudius vom vermeintlich verständnisvollen Stiefvater zum durchtriebenen Mörder, der sich selbst die Hände nicht schmutzig machen will. Francesca Zoutewelle ist eine Ophelia, die zwischen den Stühlen sitzt und an ihrer Liebe zu Hamlet und dessen Persönlichkeitsveränderung verzweifelt. Finlay Cormak als ihr Bruder Laertes nutzt jeden Spielraum. Steven Beard gibt seinem Polonius etwas liebenswert Kauziges.

VON HELGA BITTNER

(NGZ)
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