Neuss Die vielseitige "Bürger-Forscherin"

Neuss · Karla Geismann arbeitet seit dem Jahr 2003 ehrenamtlich im Stadtarchiv mit. Dort schätzt man ihre Hilfe - und ihre Kenntnisse. Archivleiter Jens Metzdorf ist überzeugt, dass viele helfen könnten - und startet das Projekt "Citizen Science".

 Karla Geismann hat mehr als 40.000 Fotos aus der Sammlung des Stadtarchivs beschriftet und digitalisiert. "Es ist wunderbar, eine Aufgabe zu haben, die Sinn macht", sagt die 85-Jährige.

Karla Geismann hat mehr als 40.000 Fotos aus der Sammlung des Stadtarchivs beschriftet und digitalisiert. "Es ist wunderbar, eine Aufgabe zu haben, die Sinn macht", sagt die 85-Jährige.

Foto: A. Woitschützke

Karla Geismann würde sich nie Historikerin nennen und hat auch nie studiert. Trotzdem ist die 85-Jährige eine Stütze des Stadtarchivs. Sie hat in 13 Jahren Mitarbeit Teile des Fotobestandes nicht nur sortiert, beschriftet und gut 40.000 Bilder digitalisiert, sondern in vielen Fällen erst recherchiert und dann auf der Rückseite vermerkt, was die Aufnahme eigentlich vorne zeigt. "Bürger schaffen Wissen", fasst Archivleiter Jens Metzdorf den Wert von Geismanns Arbeit zusammen. Und weil er überzeugt ist, dass es noch viel mehr Neusser gibt, die dem Archiv so helfen könnten (und auch möchten), geht sein Haus in die "Akquise". Am Donnerstag, 11.Mai, stellt das Archivteam gemeinsam mit dem "Forum Archiv und Geschichte" vor, was Ehrenamt leisten könnte. Beginn: 19.30 Uhr.

Karla Geismann hatte mit dem Archiv 1993 zum ersten Mal Kontakt. Gerade von einem Einsatz als Aufbauhelferin in der Bistumsverwaltung in Magdeburg zurück, wollte sie sich jetzt der Ahnenforschung widmen. Zehn Jahre schöpfte sie aus vielen Quellen und hatte am Ende nicht nur die Familiengeschichte auf der Seite der eigenen und der Schwiegereltern dokumentiert, sondern auch Feuer gefangen. "Vorfahren, von denen ich vorher nichts wusste, konnte ich mir lebendig vorstellen", sagt sie.

Für Metzdorf und Annekatrin Schaller, die das Bildarchiv betreut, war aber eines viel wichtiger: Geismann wollte weitermachen. Die Suche nach einer Aufgabe endete vor einem Stahlschrank mit Tausenden Bildern. Waren sie rudimentär beschriftet und zeigten Menschen, ging Geismann damit zu anderen Neussern "Bildkes gucken", um den Gesichtern Namen zuzuordnen. Zeigte die Aufnahme eine Straßen- oder Stadtansicht, half ihr die Ortskenntnis, die sie sich auch als Mitglied des Planungsausschusses über Jahre erarbeitet hatte. "Das war eine gute Schule", sagt sie.

So wie sich bei Geismann Neigung und Kenntnis mischten, könnte es ja auch in anderen Fällen sein, sagt Metzdorf. Er will deshalb nicht einfach gezielt Menschen für verabredete Projekte suchen. "Wir stellen keine Aufgaben", sagt er. Man eröffne vielmehr Möglichkeiten. Denn zu tun gebe es genug. Wer nur handwerklich arbeiten möchte, wäre zum Beispiel in der Restauratorenwerkstatt willkommen. Wer sich für Sport oder Kirche oder ein anderes lokales Thema interessiert, kann bei der Sichtung und Ordnung der zeitgeschichtlichen Sammlung mit anfassen. Und wer alte Handschriften lesen kann, könnte beim Transkribieren helfen. Die Ratsprotokolle früherer Jahrhunderte würden auch Karla Geismann reizen, gibt sie zu. Und Metzdorf ergänzt: "Wie viel mehr wäre für die Wissenschaft noch möglich!" Denn die Quellen seien da und zugänglicher denn je, doch dass es immer weniger wissenschaftliche Forschung zu Themen der frühen Neuzeit gibt, liege vielleicht ja auch nur an der Lesbarkeit der Originale, sagt Metzdorf.

"Citizen Science" heißt der Fachbegriff für das, was Metzdorf vorhat. Bürger-Forschung. Die kann Grundlagen schaffen. Im Naturschutz etwa passiert das schon, wenn etwa zur Vogelzählung aufgerufen wird, in der Geschichtswissenschaft ist es noch neu. Doch Metzdorf ist vom Erfolg überzeugt.

(-nau)
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