Neuss Die Nordstadt verliert ihre Identität

Neuss · Willi-Graf-Haus, Versöhnungskirche, Haus Vogelsang, altes Parkhotel - wie sich Further um Angebot und Profil sorgen.

 Casino, Parkhotel, Privatschule - jetzt steht das 1872 errichtete Haus Further Straße Nummer 21 vor dem Abriss.

Casino, Parkhotel, Privatschule - jetzt steht das 1872 errichtete Haus Further Straße Nummer 21 vor dem Abriss.

Foto: Berns, Lothar (lber)

Peter Dieter Schnitzler (76) ist traurig. Der langjährige Vorstand des Initiativkreises sorgt sich, dass die Nordstadt historische Gebäude und wichtige Einrichtungen verliert, die als sichtbare Zeichen der Identität das Wir-Gefühl der Menschen auf der Furth stärk(t)en: Aus der Szenekneipe Further Hof wird ein Flüchtlingsheim, das Willi-Graf-Haus als Standort der (katholischen) Familienbildung wird schließen, das Haus Vogelsang soll einer Wohnbebauung weichen, das Privatschul-Gebäude, vormals Parkhotel, steht vor dem Abriss - und welche Zukunft die evangelische Versöhnungskirche hat, ist derzeit völlig offen. "Ein Stadtteil mit 40.000 Einwohnern wird immer gesichtsloser", sagt Schnitzler, "und alle zucken nur ratlos mit den Schultern."

 Das Haus Vogelsang an der Römerstraße gab einem Stadtteil seinen Namen. Jetzt muss es einer Wohnbebauung weichen.

Das Haus Vogelsang an der Römerstraße gab einem Stadtteil seinen Namen. Jetzt muss es einer Wohnbebauung weichen.

Foto: Berns, Lothar (lber)

Ein Patentrezept hält auch Nordstadt-Experte Schnitzler nicht in Händen, aber einen Vorschlag formuliert er dennoch: "Vielleicht setzen sich alle Beteiligten einmal an einen Tisch und suchen nach intelligenten Lösungen." Der Vorstand des Initiativkreises diskutierte zuletzt die Identitätsfrage der Nordstadt. "Ich verstehe die Bestrebungen von Peter Dieter Schnitzler", sagt Geschäftsführerin Ingrid Schäfer, "aber nur Altes zu bewahren, reicht für eine prosperierende Stadt wie Neuss nicht aus." Schäfer sitzt als CDU-Ratsfrau auch in der Nordstadt-Konferenz ihrer Partei. Dort würden weniger "Wohlfühl-Themnen" angesprochen, sagt sie, es gehe vielmehr um harte Themen wie zum Beispiel die Verkehrslenkung.

 Der legendäre Further Hof war Musikkneipe und Szenetreff, dann stand er leer. Jetzt sind dort junge Flüchtlinge eingezogen.

Der legendäre Further Hof war Musikkneipe und Szenetreff, dann stand er leer. Jetzt sind dort junge Flüchtlinge eingezogen.

Foto: Berns, Lothar (lber)

Ähnlich sieht es Heinrich Thiel, Schriftführer des Initiativkreises, SPD-Ratsherr und Vorsitzender des Ortsvereins Nordstadt seiner Partei. Alles was Schnitzler anspreche, sei "grundsätzlich richtig", aber der Einfluss auf Entscheidungen Dritter sei für die Stadt oder den Initiativkreis gering. So sehe er es mit Freude, dass für den Further Hof eine überzeugende Alternative gefunden worden sei: "Dort entsteht mehr als nur ein Flüchtlingsheim. Dort wird es auch eine Begegnungsstätte geben." Diese Entwicklung werde von der SPD "sehr begrüßt".

 Das Will-Graf-Haus an der Venloer Straße ist angesehener Standort für die Familienbildung. Jetzt wird es geschlossen.

Das Will-Graf-Haus an der Venloer Straße ist angesehener Standort für die Familienbildung. Jetzt wird es geschlossen.

Foto: Berns, Lothar (lber)

Dass er die Kraft des Faktischen nicht brechen kann, weiß Peter Dieter Schnitzler. Das will er auch gar nicht. Aber es schmerzt ihn, dass vom Haus Vogelsang, das einmal einem ganzen Stadtteil seinen Namen gab, am Ende nur eine Erinnerungsplakette übrig bleiben wird. Wenn das Willi-Graf-Haus schließe, werde eine Lücke ins Angebot für Familienbildung gerissen, fehle eine wichtige Begegnungsstätte auf der Furth.

Als "besonders interessant" bezeichnet Schnitzler das vom Baumeister Julius Thomas 1872 errichte Haus an der Further Straße Nummer 21. Dort wurde (vermutlich) die Kunstmäzenin Thea Sternheim geboren, dort residierte Landrat Clemens Freiherr von Schorlemer, dort unterhielt das Unternehmen Bauer & Schaurte Casino und Schulungsräume, später diente der Komplex als Parkhotel und ab 1971 als Standort für die Neusser Privatschule, die 2011 an die Graf-Landsberg-Straße zog. "Das Gebäude ist marode", sagt Ingrid Schäfer. Es werde abgerissen und mache Wohnungen Platz. Gegenüber liegt das Werksgelände von Bauer & Schaurte. Bleibt etwas Neusser Industriekultur erhalten? Vermutlich nicht. "Wir brauchen Bauland", sagt Ingrid Schäfer - und gibt die Richtung vor.

(-lue)
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