Neuss Die Charakterrolle beim Schützenfest - der Oberst

Neuss · Heute wählen die Schützen Heiner Sandmann zum 15. und letzten Mal zu ihrem Kommandeur. 2001 fing alles an. Damals kam er aus der Tiefe des Regiments. Aus dem "Blind Date" wurde eine Liebesbeziehung.

 Oberst im Anzug: Er präsentiert nach Zog-Zog das erste Festplakat.

Oberst im Anzug: Er präsentiert nach Zog-Zog das erste Festplakat.

Foto: Woi

Er ist gut. Er ist vital. Er ist beliebt - und er hat die Pensionsgrenze noch nicht erreicht. Gleichwohl lässt sich Heiner Sandmann (62) heute zum letzten Male zum Oberst wählen, der dann zum Schützenfest (29. August/1. September) zum 15. Mal das stolze Neusser Regiment mit rund 7500 Marschierern auf den Markt führen wird.

 Oberst zu Fuß: Der Regimentschef führt den Fackelzug an.

Oberst zu Fuß: Der Regimentschef führt den Fackelzug an.

Foto: L. Berns

Unbedrängt zieht er sich auf dem Höhepunkt seiner Schützenkarriere zurück. Typisch Sandmann. Er sieht sich als unabhängiger Denker und Lenker, der eigenständig seine Entscheidungen trifft. "Ich hatte zugesagt, den Job zehn Jahre zu machen, jetzt sind es 15 geworden", sagt Sandmann, "da kann ich in Ruhe gehen." Aber heute verbittet er sich Nachrufe, denn "ein Jahr habe ich noch" - sein letztes Schützenfest als Oberst will er in vollen Zügen genießen.

Heiner Sandmann hört auf, weil er sein Leben "jenseits der 60" neu ordnen möchte. Er will sich mehr Zeit für seine Frau und seine Familie nehmen, wünscht sich mehr freie Zeit und weniger Verantwortung. Seine Tierarztpraxis leitet er weiterhin, doch freut er sich seit dem 1. August über einen Partner: Valentin Reichle soll ihm mittelfristig ermöglichen, "dass ich nicht immer voll im Geschirr gehen muss".

Und bei aller Freude, die ihm das Oberstdasein bereitet, verrät er schon, auf was er sich im Jahr Eins nach seiner Zeit als Regimentschef freut: "Ich könnte anfangen, wieder richtig Schützenfest zu feiern - natürlich in meinem Reitercorps."

Als 2001 nach der Verzichtserklärung von Josef Bringmann ein neuer Oberst gesucht wurde, wurden viele Namen gehandelt. Der Name von Heiner Sandmann war nicht darunter. Der war zwar gerade zum Reitersieger aufgestiegen, doch trotz der hohen Repräsentantenwürde war er mit gerade einmal sieben Aktivenjahren ein schützenfestlicher Neuling. Bringmann erkannte die Führungsstärke und das Durchsetzungsvermögen des promovierten Veterinärmediziners. Er präsentierte den Kandidaten, der aus der Tiefe des Regimentes kam, und setzte ihn durch. Die Schützen folgten dem Personalvorschlag, weil sie auf die Empfehlung von Korpsführer und Komitee vertrauten. Im Grunde aber war es ein "Blind Date", aus dem schnell eine Liebesbeziehung wurde. Heute formuliert Sandmann selbstbewusst: "Mein Rückhalt bei den Jungens ist extrem hoch."

Wie verschafft sich ein ehrenamtlicher Kommandeur Gehör bei einer 7500-köpfigen feierwilligen Corona, die nur eins im Sinn hat: Spaß an de Freud? "Ich habe versucht", sagt Heiner Sandmann, "nie den Oberst heraushängen zu lassen." Heute ist er schon fast ein Schützenfest-Philosoph, wenn er seine Erfahrung auf einen kurzen Nenner bringt: "Ich habe das Sagen. Aber keiner muss auf mich hören." Für ihn ist klar, dass viele Schützen nicht wissen, wer Oberst oder Präsident ist - "und das ist auch gut so!" Auch nach 14 Jahren als Höchstchargierter ist ihm bewusst, dass er beim Spiel der Männer lediglich eine Charakterrolle auf Zeit gibt. Dieses Wissen macht ihn stark. Und mit diesem Wissen, das er vorlebt, gewinnt er die Zuneigung "der Jungens".

In der "Ära Sandmann" sind die Korpsführer, deren Anführer der Oberst ist, näher zusammengerückt, was sich nicht nur im gemeinsamen Ausflug ausdrückt, den Sandmann eingeführt hat. Das Regiment ist um 25 Prozent gewachsen, die Zugwege wurden verkürzt und steigerten die Teilnahme am Montagabend-Umzug. Eine Bilanz, die sich sehen lassen kann.

Über mögliche Nachfolger spekuliert er nicht: "Ich bin noch ein Jahr der Oberst!" Denn so bald der Neue da sei, "bin ich nur eine Notiz in der Geschichte des Neusser Bürger-Schützen-Vereins".

(NGZ)
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