Analyse Die CDU taumelt

Neuss · Das Landtagsmandat ist futsch. Im Rathaus regiert ein roter Bürgermeister. Jetzt versagt die Basis dem Vorstand die Gefolgschaft. Jörg Geerlings ist schwer angeschlagen. Ein Vorsitzender auf Abruf? Personelle Alternativen sind rar. Keiner will der Königsmörder sein.

 Versteht seine CDU nicht mehr: Vorsitzender Geerlings (l.) - daneben sein Stellvertreter Tobias Goldkamp - am Dienstag bei der Generalversammlung. Soeben haben die Mitglieder die angestrebten Neuwahlen abgesetzt.

Versteht seine CDU nicht mehr: Vorsitzender Geerlings (l.) - daneben sein Stellvertreter Tobias Goldkamp - am Dienstag bei der Generalversammlung. Soeben haben die Mitglieder die angestrebten Neuwahlen abgesetzt.

Foto: A. Woitschützke

Stehvermögen und Nehmerqualität besitzt er. Das sture Beharren, mit dem Jörg Geerlings Niederlagen bei Landtags- und Bürgermeisterwahl auspendelt, nötigt fast schon wieder Respekt ab. Er kämpft, er kämpft um den Parteivorsitz, er kämpft um seine politische Zukunft. Ob aber diese Entschlossenheit, sein Schicksal an die Neuwahl des CDU-Chefs zu koppeln, am Ende zu dem von ihm gewünschten Ergebnis führen wird, darf seriös bezweifelt werden. Denn spätestens seit der Generalversammlung am Mittwoch ist klar: Dieser Vorsitzende und der von ihm geführte Vorstand haben ihre Partei nicht mehr im Griff. Vorgezogene Neuwahlen anzusetzen, um dann in der Versammlung von den Mitgliedern zurückgepfiffen zu werden, bedeutet die Höchststrafe. Für Geerlings. Für den Vorstand.

Doch allein die Forderung "Geerlings muss weg" hilft der Neusser CDU nicht. Wer Geerlings aus dem Vorsitz jagen will, der muss sagen, wer es machen soll. Personelle Alternativen sind rar. Parteivorsitz ist ein echtes Ehrenamt. Es hält viel Ärger und noch mehr Arbeit bereit. Da lohnen Landtagsmandat, Fraktionsvorsitz oder Bürgermeister-Stellvertreter mehr. Diese Aufgaben werden vergütet. Dass mag die Zurückhaltung erklären. Offenbar will auch keiner die Rolle des Königsmörders übernehmen. In zehn Jahren als CDU-Chef stieg Geerlings zu einem der mächtigsten Männer in der Stadt auf. Seine Getreuen vernetzen sich in Partei, Fraktion und Gesellschaft. Und: Die bisher vergebliche Suche nach einem neuen Kandidaten für den Parteivorsitz führt eindrucksvoll vor Augen, wie personell ausgezehrt die Neusser CDU nach mehr als 70 Jahren an der Macht inzwischen ist. Ihre besten Köpfe werden als Bundesminister (Gröhe) anderswo gebraucht oder sind längst auf dem politischen Altenteil (Hüsch, Napp).

Ist Dieter W. Welsink die Alternative? Er stand am Dienstagabend zur Kampfkandidatur bereit. Ein Unternehmer, ein Mann der Wirtschaft. Er könnte Parteivorsitz, doch er müsste seine politischen Aufgaben ordnen. In Neuss CDU-Chef, im Kreis Vorsitzender der CDU-Fraktion - wie soll das gehen? Nicht nur die Kreisumlage ist für ihn ein Minenfeld. Und: Was wird aus seinem Langzeitwunsch, für den Landtag zu kandidieren, wenn er in Neuss zum neuen CDU-Vorarbeiter aufsteigt? Welsink und seine Mitstreiter werden froh sein, dass ihnen mit der Vertagung der Neuwahlen ins erste Quartal 2016 nun mehr Zeit zur Vorbereitung vergönnt ist. Was Welsink stark macht: Er kann, er muss aber nicht kandidieren.

Letztlich bleibt es aber die Schwäche der parteiinternen Geerlings-Widersacher, dass ihnen ein gemeinsames Ziel, gemeinsame Themen und ein gemeinsamer Anführer fehlt. Dabei wäre es höchste Zeit, dass sich mit der CDU die immer noch stärkste politische Kraft wieder um Inhalte kümmert. Da die Partei seit Monaten ausfällt, weil die Granden in Personalgerangel gefangen sind, trägt allein die Ratsfraktion die Last der inhaltlichen Arbeit. Den mit Abstand besten Job in Reihen der Christdemokraten macht derzeit eine Frau: Helga Koenemann. Sie aber wird als CDU-Chefin im Rat benötigt und sich nicht verstärkt in der Partei einbringen.

Gut möglich, dass es im März auf ein Duell zwischen Geerlings und Welsink hinausläuft. Doch bis es so weit ist, müssen zuvor die politischen Hausaufgaben gemacht werden. Das hat die CDU-Basis ihrem Führungspersonal abverlangt. Zukunftsfähige Gedanken für die Stadt sind gefragt, die den Bürgern Argumente liefern, warum sie CDU wählen sollen. Es soll ja schon Parteien gegeben haben, die über Sacharbeit in die Spur zurückgefunden haben.

(-lue)
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