Neuss Der Künstler als Seismograph

Neuss · In seiner traditionellen August-Ausstellung zeigt der Grafiker Rolf Geissler eine große Fülle an Federzeichnungen, die weltpolitisch bedeutungsvolle Situationen verarbeiten. Hinter dem "Tumult in Entenhausen" steckt immer - ein Mensch.

 "Der Despot schmollt" gehört zu den ersten Federzeichnungen, die Rolf Geissler unter dem Eindruck der Politik Assads gemacht hat: Der Herrscher fegt sein Volk mit allen Mitteln hinweg.

"Der Despot schmollt" gehört zu den ersten Federzeichnungen, die Rolf Geissler unter dem Eindruck der Politik Assads gemacht hat: Der Herrscher fegt sein Volk mit allen Mitteln hinweg.

Foto: Rolf Geissler

Wie viele Zeichnungen da hängen, weiß Rolf Geissler selbst nicht genau. "Hm, sehr, sehr viele", sagt er, kann sich seinen Schaffensdrang auch nur erklären, weil ihn das Thema so umtrieb. Seit mehr als einem Jahr ist das schon so, als der syrische Herrscher Assad immer öfter in den Schlagzeilen wegen seiner brutalen Politik gegen seine Landsleute auftauchte und Rolf Geissler, "da ich noch unter Aufklärung leide", wie er fast sarkastisch sagt, "es nicht mehr verstehen konnte, wie ein Regent so mit seinem Volk umgeht.

 Auch Despoten können "Immer auf dem Teppich bleiben". Aber nur auf einem fliegenden und mit ihrem "Handwerkszeug".

Auch Despoten können "Immer auf dem Teppich bleiben". Aber nur auf einem fliegenden und mit ihrem "Handwerkszeug".

Foto: Rolf Geissler

"Es ist nicht schön, wenn der Despot schmollt" hat er eine der ersten Federzeichnungen betitelt, zu der dann noch so viele dazugekommen sind, dass die Wände in seinem Atelier kaum ausreichen, alles für die traditionelle Jahresausstellung am vorletzten August-Wochenende aufzunehmen. Anders als die Ideen zu der Schau unter dem Titel "Tumult in Entenhausen" sind ihm die Rahmen denn auch ausgegangen, so dass viele Zeichnungen zu Blöcken zusammengefasst an der Wand hängen. Was aber auch passt. Denn Geisslers Arbeiten dokumentieren sozusagen in Reihungen, was ihn gedanklich und emotional nicht loslässt, wenn er auf die Welt um sich herum schaut.

Dass Assad nicht lange allein bleiben würde, wundert da nicht. Erdogan kam dazu und natürlich Donald Trump, den Geissler vor allem meint, wenn er vom "Tumult in Entenhausen" spricht. Trump ist eine Ente. Noch skrupelloser als der eiche, geizige Dagobert Duck und natürlich hässlicher. Den Schnabel voller Zähne, bestückt mit Waffen aller Art und mit dem Schlachtruf "Entenhausen first" macht er alles kurz und klein. Dass ihm dabei die Krawatte in der Form eines Penis' vom Hals baumelt und er seinen Slogan "We make America great again" mit Blick in die Hose propagiert, wundert bei Rolf Geissler nicht.

Gleichwohl zeugen viele der Zeichnungen davon, dass Wut und Zorn sie aus Geisslers Kopf in die Hand und dann in die Feder haben fließen lassen. "Wie in einem Rausch" seien die Arbeiten vor allem in dieser Fülle entstanden, gibt der Künstler zu. So kombiniert er Trumps Äußerung, Waterboarden sei ein probates Mittel zur Wahrheitsfindung, nicht nur mit einer ins Wasser gedrückten Ente, sondern zeigt in einem nächsten Bild, wie sie trocknet: an den Füßen an einer Leine aufgehängt.

Aus anderen Arbeiten spricht auch Schmerz, Traurigkeit darüber, welche menschengemachten Übel die Weltpolitik beherrschen - was der eigene Verstand mit kaum mehr als Fassungslosigkeit registrieren kann. Dann drückt er einem Assad oder einem Trump eine Pistole in die Hand und lässt sie wild um sich ballern.

Wenn es überhaupt noch eines Beweises bedurfte, um Geissler als künstlerischen Seismograph für das Leben an sich und die Bedeutung der Politik für eben dieses zu begreifen - die Ausstellung liefert ihn. Und sie zeigt dabei die ganze Breite seines Könnens. Einige Zeichnungen wirken wie hingeworfen - das Ballett von Entenhausen zum Beispiel, das den "Sterbenden Schwan unter Federführung des Bolschoi Theaters übt" oder die Reihe der arabisch aussehenen Frauen, die "nicht reindürfen" - bis auf die eine unter ihnen, die leichtgeschürzt "abends hinein darf". Und dazwischen gibt es immer wieder bis in die letzte Schraffur ausgearbeitete Federzeichnungen, die manches Mal auch koloriert sind.

(hbm)
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