Neusser Woche Zog-Zog-Versammlung Der freie Bürger demonstriert seine Freiheit

Neuss · Ratsherren dürfen zuschauen, wenn Bürger bei "Zog-Zog" Basisdemokratie proben. Schade nur, dass viele diese Gesellschaftskunde schwänzen.

Wer nur darauf achtet, was am Ende herauskommt, der wird die Bürgerversammlung als überflüssig erachten. Alljährlich kommen ein paar hundert Männer zusammen, um über eine Frage zu entscheiden, deren Antwort feststeht: In sechs Wochen wird Schützenfest gefeiert. Zog-Zog!

Wofür also der ganze Aufwand an einem Samstagabend im Sommer, den ein jeder auch trefflich mit seiner Familie beim Grillen im Garten oder mit Freunden beim Bier auf der Terrasse seines Lieblingslokals verbringen könnte? Schnell werden einige darauf verweisen, dass die Zog-Zog-Versammlung Tradition sei und die Satzung des Bürger-Schützen-Vereins die Abstimmung vorschreibe. Doch Tradition ist kein Selbstzweck, sie verlangt nach Inhalt, um nicht zum bloßen Ritual, zur Folklore zu verkommen.

Was also ist die Botschaft der Bürgerversammlung, die vor Wochenfrist bereits zum 173. Mal in Neuss stattfand? Wenn mit dem Zog-Zog-Ruf in der Stadthalle aus Bürgern Schützen werden, dann ist das Ausdruck des freien Willens dieser Neusser, sich als Schütze in den Dienst der Stadt und ihrer Gesellschaft zu stellen. Im Kern ist es eine kraftvolle Demonstration von Freiheit und (Basis-)Demokratie. Es sind eben nicht Bürgermeister und Stadtrat - also die "Obrigkeit" -, die anordnen (können), dass Ende August Schützenfest zu feiern ist. Die Bürgerversammlung führt das eindrucksvoll vor Augen: Stadtväter sind aufgefordert, sich anzuschauen, wie Neusser Männer über ihr Schützendasein selbst entscheiden.

Vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund ist es schade, dass nur acht Ratsherren - davon Bürgermeister Breuer, sein "Vize" Schümann, Präsident Nickel, Komiteemitglied Flecken in offizieller Funktion - auf der Stadthallen-Bühne erlebten, wie freie Neusser ihre freie Entscheidung trafen. Bei allem Verständnis für die Ferienzeit: Bürger und Bürgersinn haben mehr Respekt ihrer Bürgervertreter verdient.

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(NGZ)
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