Neuss Das Wir-Gefühl des Heimatchors

Neuss · Rhonice Cerson-Walter und Brigitte Huscher sind zwei von gut einem Dutzend Menschen aus Neuss und Umgebung, die als Heimatchor auf der Bühne des RLT stehen. Sie sind mehr als Statisten, haben auch viel Text zu sprechen.

 Theater einmal aus der anderen Perspektive erleben: Rhonice Cerson-Walter und Brigitte Huscher (v.l.) gehören zum Neusser Heimatchor in der Produktion "Wir sind keine Barbaren!" von Philipp Löhle im RLT.

Theater einmal aus der anderen Perspektive erleben: Rhonice Cerson-Walter und Brigitte Huscher (v.l.) gehören zum Neusser Heimatchor in der Produktion "Wir sind keine Barbaren!" von Philipp Löhle im RLT.

Foto: A. Woitschützke

Brigitte Huscher muss keinen Moment überlegen: "Die Proben waren keine Fron, sondern nur schön", sagt sie. Rhonice Cerson-Walter nickt heftig und lacht schallend, weil ihr der Begriff "Fron" so gut gefällt. Die beiden Frauen sind Teil des Neusser Heimatchors, eines Ensembles, das extra für die Aufführung "Wir sind keine Barbaren!" von Philipp Löhle im RLT zusammengestellt wurde. Nicht aus dem üblichen Statistenpool des Theaters, sondern per Aufruf, unter anderem in der NGZ.

Dort jedenfalls haben Cerson-Walter und Huscher von der Sache gelesen und sich beworben. "Von Beginn an gab es ein starkes Gemeinschaftsgefühl", sagt Cerson-Walter, "zumindest bei denen, die dann auch dabeigeblieben sind." Ein gutes Dutzend hat sich gehalten, übernimmt in der Inszenierung von Sahar Amini eine wahrlich tragende Rolle, denn der Chor tritt mehrmals auf, hat viel Text und kommentiert das Geschehen, setzt damit inhaltlich deutliche Akzente.

Dabei besteht der Chor nicht nur aus unterschiedlichen Typen, aus Männern und Frauen, sondern auch aus jüngeren und älteren Menschen. "Und deswegen ist das umso schöner", sagen beide übereinstimmend. Schließlich verbringen die Chormitglieder viel Zeit miteinander. Vor der Premiere stand über sechs Wochen drei Mal pro Woche eine Probe an, jetzt sind es die Vorstellungen in Neuss und die Abstecher, die sie fordern. Am 15. Juni ist Schluss, dann stehen sie gemeinsam das letzte Mal auf der Bühne.

Das chorische Sprechen zu lernen, aufzupassen, dass man nicht aus dem Rhythmus kommt und andere mit sich zieht, war schon eine Herausforderung - vom Auswendiglernen des Textes ganz zu schweigen. "Ich sage mir den Text immer auf, wenn ich auf dem Fahrrad sitze", sagt Brigitte Huscher. Und sie fährt viel Rad. Rhonice Cerson-Walter nutzt die Spaziergänge mit dem Hund fürs Memorieren. Gern auch laut, was ihr manch verwunderten Blick anderer Spaziergänger beschert, wie sie lachend zugibt. Sie hat auch schon reichlich Bühnenerfahrung als Statistin in Düsseldorf gesammelt (und Kurse in der Drama School gemacht), aber so viel zu sprechen wie jetzt mit dem Heimatchor hatte sie noch nie.

Dass die 58-Jährige Neusserin also ein bisschen abgeklärter wirkt als die 70-jährige Brigitte Huscher, kann nur mit dem Mehr an Bühnenerfahrung zusammenhängen. Für Huscher ist die Mitwirkung im Heimatchor die Erfüllung eines langgehegten Wunsches. "Ich wollte schon immer mal als Statist auf die Bühne", sagt die Kaarsterin und ergänzt trocken: "Das kann ich jetzt abhaken." Als Zuschauerin ist sie viel und gerne im Theater (künftig wohl auch in Neuss) und auch in der Oper, aber jetzt ist sie richtig auf den Geschmack gekommen. Und so kommt ihre Antwort auf die Frage, ob sie Ähnliches wie das Mitsprechen in einem Bühnenchor wiederholen würde, prompt: "Auf jeden Fall will ich weitermachen." Zu dieser Begeisterung trägt jedoch auch bei, dass sie sich ebenso wie ihre "Kollegin" Cerson-Walter vom Ensemble des Rheinischen Landestheaters sehr gut aufgenommen fühlt. Und natürlich sitzen alle gemeinsam in einem Bus, wenn es zu den Abstecherorten geht.

Dass es in dem Stück auch um einen Fremden geht, der plötzlich hilfesuchend vor der Tür eines klassischen Mittelschichts-Ehepaars steht und dessen Leben geradezu implodieren lässt, berührt Rhonice Cerson-Walter noch etwas anders als die anderen. Sie ist in Südamerika geboren und aufgewachsen, kam vor 35 Jahren nach Neuss, fühlt sich ganz als Neusserin, aber weiß noch: "Fremd war ich damals auch - aber mehr im Sinne von exotisch, denn so viele wie mich gab es nicht." Was die flüchtenden Menschen heute erlebten, sei viel schlimmer. Aber sie hat eben auch festgestellt: "Wenn man die Sprache richtig lernt, klappt auch die Integration."

Huscher hört zunächst schweigend zu und konstatiert dann fast hilflos: "Du bist doch so ..." "Neusserisch" oder "deutsch" wären wohl die richtigen Worte. Was Rhonice Cerson-Walter auch so versteht und Huscher lachend in den Arm nimmt. Wenn die Herzlichkeit, die das Miteinander der beiden Frauen kennzeichnet, stilbildend für den ganzen Heimatchor ist, muss die Arbeit Vergnügen sein.

(hbm)
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