Neuss Das neue Leben des Abgeordneten Gröhe

Neuss · Er gilt als Vertrauter von Angela Merkel. Ihr diente er im Kanzleramt, als Generalsekretär und Minister. Doch im neuen Kabinett war für ihn kein Platz frei. Jetzt erfindet sich der Politiker aus Neuss neu, positioniert sich als Parlamentarier.

Gröhe lernt umziehen. In nur vier Wochen wechselt der Politiker aus Neuss gleich zwei Mal sein Berliner Büro. Mit dem Start der erneuten Großen Koalition übergab er das Gesundheitsministerium an seinen Nachfolger Jens Spahn und richtete sich im Abgeordnetenhaus des Bundestags ein. Gestern dirigierte Hermann Gröhe (57) schon wieder Umzugskartons. Nun waren die Räume der CDU/CSU-Bundestagsfraktion das Ziel, die er als stellvertretender Vorsitzender bezieht - ein vergrößertes Mitarbeiterteam inklusive.

"Ich bin ein leidenschaftlicher Parlamentarier", sagt Gröhe, der stets auch auf eine starke Präsenz in seinem Neusser Wahlkreis achtet. Heute ist er dabei, wenn der Kölner Erzbischof Woelki das neue Edith-Stein-Haus in der Innenstadt einsegnet. Der Kardinal und der Ex-Minister werden viel zu bereden haben, denn der von der Arbeit in der Diakonie und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) geprägte Gröhe soll neuer "Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften" der Unions-Fraktion werden. Das meldete Domradio.de.

Hermann Gröhe ist einer von elf stellvertretenden Vorsitzenden seiner Fraktion. Ihm sind die Themenfelder Soziales sowie Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Gerhard Müller, CSU) zu geordnet. Sein Debüt als Redner in der neuen Rolle hat Gröhe bereits hinter sich. Er antwortete Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gleich in der ersten Bundestagsdebatte. Als sich der geschäftsführende Fraktionsvorstand mit dem Präsidium vom Verband der Chemischen Industrie (VCI) traf, ließ sich Vorsitzender Volker Kauder von den beiden Ex-Ministern Gröhe und Alexander Dobrindt (CSU) flankieren.

In der Unions-Fraktion hat sich auch ein Gesprächskreis Braunkohle gebildet, dem Abgeordnete aus dem Rheinischen Revier aber auch aus den Neuen Ländern angehören. Unter der Leitung von Georg Kippels (Erftkreis) wirkt auch Gröhe mit, dessen Wahlkreis (Dormagen, Grevenbroich, Neuss, Rommerskirchen) von Tagebau und Kraftwerken geprägt ist und dem ein Strukturwandel bevorsteht.

Seit 1994 gehört Hermann Gröhe dem Bundestag an. Er war Staatsminister bei der Bundeskanzlerin, er war CDU-Generalsekretär und er war Gesundheitsminister bis in den März hinein. Er wäre sehr gern Minister auch im vierten Kabinett von Angela Merkel geblieben. Doch er fiel wohl der Frauenquote zum Opfer, die sich die Parteivorsitzende bei der Ministerberufung auferlegt hatte. In der Stunde der Nichtberücksichtigung zeigte Gröhe öffentlich wenig Enttäuschung und formulierte ohne Frust.

An Spekulationen über eine Rückkehr ins Kabinett beteiligt er sich nicht: "Darüber mach ich mir keinen Kopp." Er stürze sich "mit Volldampf in die neuen Aufgaben". Dabei sind Ministerwechsel im Laufe der Legislaturperiode auch ohne Skandale denkbar. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen könnte als NATO-Generalsekretärin nach Brüssel wechseln, Wirtschaftsminister Peter Altmaier könnte eine Zukunft in Europa haben. Sorgen um seinen politischen Ziehsohn macht sich auch Heinz Günther Hüsch (88), der ehemalige Bundestags- und Landtagsabgeordnete aus Neuss, nicht: "Leute wie Hermann Gröhe werden in der politischen Führung benötigt. Sein Weg ist nicht zu Ende."

So erteilt Gröhe auch Überlegungen von Neusser Parteifreunden eine Absage, er könnte als CDU-Kandidat Reiner Breuer (SPD) in zwei Jahren herausfordern, wenn die Bürgermeister-Wahl ansteht: "Ich arbeite sehr gut mit den Parteivorsitzen den Lutz Lienenkämper und Jürgen Brautmeier, mit den Landtagsabgeordneten Heike Troles und Jörg Geerlings zusammen, denn ich trage Mitverantwortung für eine starke CDU in Neuss, aber mein Platz ist in der Bundespolitik."

Die Nach-Minister-Zeit lässt offenbar Freiraum für Neues: Mehr gemeinsame Frühstücke mit Ehefrau Heidi, mehr Radtouren am Wochenende mit einem der Söhne, mehr Training im Sportcenter - fit bleiben für die politische Zukunft. Bürowechsel kann Gröhe ja schon.

(-lue)
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