Speed-Dating in Neuss Was Schüler die Neusser Bundestagskandidaten fragten

Neuss · Politiker sind von Natur aus nicht dafür bekannt, sich gerne kurz zu fassen. Am Freitag hatten sie im Pädagogischen Zentrum des Berufskollegs Weingartstraße keine andere Wahl. Schuld daran war ein goldenes Glöckchen. Was es damit auf sich hatte?

Gut zwei Wochen vor dem Gang zur Wahlurne stellten sich sechs Bundestagskandidaten gestern den Fragen von 54 Schülern des größten Berufskollegs im Rhein-Kreis. Zu Gast waren Hermann Gröhe (CDU), Daniel Rinkert (SPD), Bijan Djir-Sarai (FDP), Peter Gehrmann (Die Grünen), Roland Sperling (Die Linke) und Dirk Kranefuß (AfD). Wurde es ein lockeres Pläuschchen mit vorgefilterten Themen? Fehlanzeige.

Schließlich mussten sich die Kandidaten aus dem Wahlkreis 108 an strikte Regeln halten. Pro Kandidat gab es einen Tisch, an dem BBZ-Schüler Fragen stellten — ein sogenanntes Speed-Dating. Die Gesprächszeit war pro Runde auf zehn Minuten begrenzt. Sobald das goldene Glöckchen ertönte, wechselten die Politiker zum nächsten Tisch.

Bundestagswahl: Neusser Direktkandidaten diskutieren mit Schülern
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Neusser Schüler diskutierten mit den Bundestagskandidaten

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Foto: Woitschützke, Andreas

Bereits vor der vergangenen Landtagswahl führte die NGZ in den Räumen des BBZ solch ein Speed-Dating durch. Mit Erfolg — der Andrang auf die Plätze an den Frage-Tischen war erneut groß. "Die Schüler genießen diesen unmittelbaren Kontakt mit den Politikern. So etwas ist viel besser als eine anonyme Podiumsdiskussion", sagte Mitorganisatorin Marion Werner vom BBZ, die den Schülern im Vorfeld der Diskussion den Mut vermittelte, nachzuhaken und gegebenenfalls auch "frech" zu unterbrechen.

Ein Tipp, den die durchweg gut vorbereiteten Schüler berücksichtigten. Gleich zu Beginn fiel die unterschiedliche Herangehensweise auf. Wurden die Kandidaten an dem einen Tisch zunächst über ihren politischen Werdegang befragt, ließen andere wiederum ihr Gegenüber das Eis brechen, um die für ihn wichtigsten Inhalte nennen zu können — doch das Gros der Schüler ging direkt ans "Eingemachte".

Eines der dominieren Themen war die Innere Sicherheit. "Es kann nicht sein, dass Menschen Angst haben, abends S-Bahn zu fahren", sagte Hermann Gröhe, der sich für eine bessere Kameraüberwachung öffentlicher Plätze aussprach. Gleichzeitig müsse im Hinblick auf den Datenschutz ausbalanciert werden, was der Staat machen darf. "Bei Videoüberwachung wird ja nicht permanent ausgezeichnet", so der Gesundheitsminister, der Fehler der Bundesregierung bei der Personalie Anis Amri (Berlin-Attentat) eingestand. "Er war den Behörden bekannt und ist uns trotzdem durch die Lappen gegangen." Das dürfe nicht noch einmal passieren.

Bundestagswahl: Neusser Schüler treffen auf Direktkandidaten
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Was Schüler und Lehrer zum Politiker-Speed-Dating sagten

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Foto: Woitschützke, Andreas

Wer dem Kreis-SPD-Vorsitzenden Daniel Rinkert zuhörte — der sich bei den Schülern stets mit Handschlag und den Worten "Hallo, ich bin der Daniel", vorstellte —, der hörte oft das Wort "Gerechtigkeit". Ob Kindergärten, Offene Ganztagsschulen, Studium oder Meisterausbildungen — alles solle kostenlos sein. "Anstatt die Ausgaben für Rüstung auf 70 Milliarden zu verdoppeln, wollen wir das Geld lieber in Bildung investieren. Denn sie ist die beste Waffe", sagte Rinkert.

Das Thema Gerechtigkeit schnitt auch Roland Sperling immer wieder an — und sprach sich für höheren Steuerabgaben bei Menschen mit hohem Einkommen aus: "Jemand, der zwei Millionen Euro hat, sollte 50.000 Euro Steuern zahlen." Als Negativ-Beispiel nannte Sperling die "BMW-Geschwister" Stefan Quandt und Susanne Klatten, die in diesem Jahr mehr als eine Milliarde Euro Dividende erhalten. "Durchs Nichstun", so der Partei- und Fraktionsvorsitzende.

Steuerpolitik, Mindestlohn, Innere Sicherheit — auch Djir-Sarai bekam eine breite Auswahl an Fragen gestellt. Beim Thema Flüchtlinge appellierte er an die Medien, nicht nur das Negative in den Fokus zu rücken, denn so könne eine Atmosphäre entstehen, die mit der Realität nichts zu tun habe. "Gelungene Integration gibt es nicht nur in der Nationalmannschaft", so der FDP-Bezirksvorsitzender.

Wo die Grünen sind, da ist das Thema Klimawandel nicht weit. So war es auch am Freitag. Gehrmann betonte die Wichtigkeit erneuerbarer Energien sowie des Kohleausstiegs — und appellierte gleichzeitig an Automobilhersteller, sich unter anderem mehr mit Elektromobilität zu beschäftigen. Was die Schüler gerne hörten: "Ich finde, dass Auszubildende beim ÖPNV nicht so viel bezahlen sollten wie ein Angestellter. Warum gibt es ein Semester-Ticket nicht auch für sie?".

Bei der Runde vor der Landtagswahl hatte sich die AfD noch entschuldigen lassen. Am Freitag stellte sich Dirk Kranefuß nun den Fragen. Im Vorfeld des Speed-Datings zeigten sich einige Schüler interessiert, was die AfD außer der Flüchtlingsthematik "sonst noch zu bieten hat". Und stellten Kranefuß Fragen zum Thema Energie und Bildung. Dennoch dominierte das Thema Flüchtlinge: "Wenn wir nicht für sichere Grenzen sorgen können, dann hat die Bundesregierung etwas falsch gemacht." Von Schülerin Janina Schillings (18) darauf angesprochen, dass in den Ländern, aus denen die Menschen fliehen, teils schreckliche Zustände herrschen, sagte Kranefuß: "Wir können aber nicht ganz Kalkutta nach Deutschland lassen."

So unterschiedlich die Meinungen der sechs Kandidaten teilweise auch sind: Nachdem die goldene Glocke zum letzten Mal ertönte, herrschte Einigkeit. Gute Vorbereitung, kompetente Fragen und fair geführte Gespräche — Politikverdrossenheit bei jungen Erwachsenen sieht anders aus.

(jasi)
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