Neuss Börsenmakler schult auf Orthopäde um

Neuss · Er lebte in einer Finanzwelt mit einem Hauch von Wall Street. Per Knopfdruck bewegte er Millionen. Dann stieg er aus. Heute ist Stefan Lobner Assistenzarzt am Etienne-Krankenhaus in Neuss. Er will seinem Berufsleben einen Sinn geben.

 Aktienkurse und Börsennotierungen der Financial Times waren gestern. Heute bestimmen Patienten den Alltag von Stefan Lobner, der in der Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin am Etienne-Krankenhaus arbeitet.

Aktienkurse und Börsennotierungen der Financial Times waren gestern. Heute bestimmen Patienten den Alltag von Stefan Lobner, der in der Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin am Etienne-Krankenhaus arbeitet.

Foto: Woi

Kaufen oder verkaufen - auf Knopfdruck bewegte Stefan Lobner (32) gewaltige Summen, in der Spitze dreistellige Millionen-Euro-Beträge. Auf den Bildschirmen verfolgte er die Aktienkurse in Echtzeit. Vor dem Bildschirm sitzt er noch immer, schaut sich Fieberkurven oder Röntgenbilder an. Auf Knopfdruck verschickt er heute die Befunde. Der junge Mann trägt in seinem zweiten (Berufs-)Leben den weißen Arztkittel. "Ich wollte etwas machen, das sinnerfüllend ist", sagt er, "etwas arbeiten, das greifbar ist, das bleibt."

25 Jahre war er alt, da zog er den karriereblauen Anzug des Bankers aus, verzichtete auf ein hohes Gehalt und begann ein Medizinstudium: "Ich musste lernen, mit weniger auszukommen." Heute erfüllt sich Stefan Lobner seinen zweiten Traum, Orthopäde zu werden. Seit August 2015 arbeitet er als Assistenzarzt in der Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin am Johanna-Etienne Krankenhaus im Neusser Norden. Blickt er zurück im Zorn? Nein. Die Arbeit an und mit der Börsenwelt habe ihm viel Spaß bereitet. Es sei eine "coole Zeit" gewesen, doch den Ausstieg habe er nie bereut: "Geld war das zentrale Element. In der Finanzwelt scheint alles käuflich." Längst weiß er, "dass keiner Gesundheit kaufen kann". Er liebe den direkten Kontakt zu den Patienten: "Krankheit, Gesundheit, Schicksal - ich arbeite mit Menschen und nicht mit Papier!"

Stefan Lobner wurde in eine bürgerlich-normale Familie hineingeboren. Mutter Versicherungskauffrau, Vater Werkzeugmacher. Schon der kleine Stefan träumt davon, Banker, Orthopäde - oder gar beides zu werden. Ihn faszinieren Zahlen, was mehr und mehr zu einem intensiven Interesse an der Wirtschaft führt. Der Besuch einer Berufseinsteigermesse weist ihm den Weg in eine "Welt mit dem Hauch von Wall Street", ein Praktikum bei einem Wertpapierbroker beseitigt die letzten Zweifel. Nach dem Abitur mit Durchschnittsnote 1,6 absolviert Stefan Lobner ab 2003 bei HSBC Trinkhaus & Burkhardt eine Ausbildung zum Bankkaufmann, ehe er in den Börsenhandel wechselt, Teamchef wird. Spiel ohne Grenzen, so scheint es.

Und doch. Im Alter von 25 Jahren spürt Stefan Lobner, dass es an der Zeit ist, eine Entscheidung zu treffen: "Will ich diesen Job wirklich mein ganzes Leben machen?" Nach vielen Gesprächen mit den Eltern und der Freundin kündigt er 2008. "Vor dem Lehman-Crash", sagt er. Bis in den späten Abend hinein macht er an seinem letzten Arbeitstag seinen Börsenjob. Am nächsten Morgen sitzt er um 8.15 Uhr im Hörsaal. Chemie-Aufbaukursus. Das Studium muss er sich als Werkstudent finanzieren. Montags, mittwochs, freitags arbeitet er von 18 bis 22 Uhr im Backoffice seines alten Chefs. Diszipliniert schultert er die Doppelbelastung: "Ich habe gelernt, wie viel man an einem Tag schaffen kann." Studium und ein Praxisjahr liegen hinter ihm, sechs Assistenzarztjahre liegen vor ihm. Er gehört zum Team von Professor Jörg Jerosch am "Etienne", ist offen und gespannt auf das, was kommt: "Sportler wieder fit machen. Das würde mich reizen." Einer, der wie Stefan Lobner seinem Leben derart eine neue Richtung geben kann, der wird auch dieses Ziel erreichen.

(-lue)
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