Manfred Lütz "Aufmerksam sein für Momente des Glücks"

Neuss · Am Sonntag spricht der bekannte Arzt, Theologe und Autor beim Neujahrsempfang der CDU.

 Geht dem Glück auf den Grund: Autor Manfred Lütz

Geht dem Glück auf den Grund: Autor Manfred Lütz

Foto: Verlag Droemer Knaur

Herr Lütz, wie definieren Sie Glück?

DR. Manfred LÜTZ Glücksdefinitionen machen unglücklich. In Wirklichkeit gibt es nämlich sieben Milliarden unterschiedliche Definitionen von Glück, so viele wie es Menschen gibt. Und wenn irgendein selbst ernannter Glücksexperte seine selbstgekochte Glücksdefinition unter die Leute bringt, denkt manch einer, er sei für sein eigenes Leben nicht mehr kompetent.

"Wie Sie unvermeidlich glücklich werden" heißt Ihr gerade erschienenes Buch. Der Titel klingt, als sei es nicht besonders erstrebenswert, glücklich zu sein...

Lütz Ich verstehe die Frage nicht. Alle Menschen wollen glücklich sein, hat schon Aristoteles gesagt. Und warum soll es denn nicht erstrebenswert sein, unvermeidlich glücklich zu werden?

Gibt es ein Patentrezept für Glück?

Lütz Eben nicht. Mein Buch ist sozusagen ein Antiratgeber, deswegen ist der Titel auch ein bisschen ironisch gemeint. Aber er hat auch einen ganz ernsten Kern. Der Philosoph Karl Jaspers hat gesagt, die Grenzsituationen menschlicher Existenz, Leid, Schuld, Kampf und Tod seien unvermeidlich. Wenn man also zeigen könnte, wie man in diesen unvermeidlichen Situationen glücklich sein kann, dann kann man unvermeidlich glücklich werden.

Kann wahres Glück von Dauer sein oder sind "Glücksmomente" nicht immer nur flüchtige Augenblicke?

Lütz Das Problem der Glücksratgeber ist, dass es da immer um die Maximierung von Glücksgefühlen geht. Aber die kann man am sichersten mit Heroin herstellen - allerdings mit ziemlich unangenehmen Nebenwirkungen - oder indem man sich eine Elektrode ins Glückszentrum ins Hirn legt und sich dann lebenslang auf eine Intensivstation legt. Aber ich habe noch niemanden getroffen, der das will. Tatsächlich ist Glück kein Dauerzustand, aber es gibt diese Glücksmomente, die die Zeit sprengen, in der sie sich zutragen.

In Ihren Büchern haben Sie die Kirche auf die Couch gebeten und den Gesundheitswahn gegeißelt - jetzt rechnen Sie mit den Glückssuchern ab. Ist es nicht menschlich, nach Glück zu streben?

Lütz Das sage ich ja. Aber ich warne vor den Irrwegen der Glücksgurus.

Was unterscheidet Ihr Buch von den Glücks-Ratgebern, die sich in den Buchhandlungen türmen?

Lütz Das Buch ist unter anderem eine allgemeinverständliche und unterhaltsame kleine Geschichte der Philosophie des Glücks, es beschreibt die ganz unterschiedlichen Wege, die die gescheitesten Menschen der Welt zum Glück gewiesen haben, und der Leser kann dann selber entscheiden, was für ihn persönlich passt.

Sie als Psychiater stehen Ihrer eigenen Zunft kritisch gegenüber, behaupten Sie doch, dass Psychotherapie unglücklich macht. Inwiefern?

Lütz Das ist ein Missverständnis. Natürlich schätze ich die guten Wirkungen von Psychotherapie bei der Behandlung von psychischen Krankheiten. Darüber habe ich in meinem Buch "Irre" eine breitere Öffentlichkeit aufgeklärt. Wenn aber Psychotherapie gesucht oder verkauft wird, um irgendwelche Lebensprobleme zu lösen, dann ist das ein Missbrauch von Psychotherapie. Psychotherapeuten haben nicht mehr Lebenserfahrung als ein altes Mütterchen vom Lande.

Kann man Glück "verdienen"?

Lütz Man kann versuchen, Irrwege zu vermeiden und aufmerksam sein für Momente des Glücks.

(NGZ)
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