Neuss 500 Seiten für einen Tag aus dem Leben eines Mannes

Neuss · Michael Kleeberg hat seiner Romanfigur Karlmann Renn mit "Vatertage" ein zweites Buch gewidmet. Er liest daraus in der Bibliothek.

 Michael Kleebergs Roman "Vaterjahre" spielt vor allem in Hamburg, der Autor aber wohnt seit einigen Jahren in Berlin.

Michael Kleebergs Roman "Vaterjahre" spielt vor allem in Hamburg, der Autor aber wohnt seit einigen Jahren in Berlin.

Foto: VIVIAN J. RHEINHEIMER

Vor rund acht Jahren hat er ihn die Welt gesetzt, diesen Karlmann Renn, dessen ungewöhnlicher Vorname auch Titel des ersten Buches ist, das sein Leben in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre erzählt. Nun ist Karlmann, der sich selbst lieber Charly nennt, wieder da. Wir schreiben das Jahr 2001, Charly ist 36 Jahre alt, verheiratet mit Heike, hat zwei Kinder, Luisa und Max, und lebt in Hamburg. Die Auswüchse der frühen Jahre hat er hinter sich gelassen, erlebt nun seine "Vaterjahre".

So hat Autor Michael Kleeberg sein zweites Buch über den Mann genannt, der mal als Jedermann, mal als Prototyp unserer Zeit betrachtet wird, und das er beim Literarischen Sommer morgen Abend in der Stadtbibliothek präsentieren wird. Ein drittes soll es auch noch geben, sagt Kleeberg, wann und wie - "das wird sich zeigen". Fest steht für ihn nur, dass der dritte Teil auch der Abschluss von Charlys Geschichte ist und die Figur dann wohl um die 60 Jahre alt sein wird.

Schon für die "Vaterjahre" hat er nicht jahrelang über die Geschichte nachgedacht. "Aber ich habe Charly immer an der langen Leine gehabt", sagt er und ergänzt lächelnd: "Und er mich." Über fast 500 Seiten öffnet der Autor auf faszinierende Weise am Beispiel von Charly den Blick auf eine ganze Generation, setzt dafür ungewöhnliche Erzählperspektiven ein und hat damit einen höchst lebendigen Entwicklungsroman geschrieben. Dabei passiert fast nichts. Ein Tag nur ist nach 500 Seiten vergangen, aber der führt den Leser in gefühlt unzählig fremde Leben und durch ganze Jahrzehnte. "Natürlich gibt es die Inspirationen aus der wahren Welt", erzählt Kleeberg, aber keine konkreten Beispiele. Aber es brauchte für die "Karlmann"-Fortsetzung doch einen Anlass?

Nicht unmittelbar. Die Übersetzung des "übermächtigen Schriftstellers" Marcel Proust hatte Kleeberg Anfang der 2000er Jahre noch so beschäftigt, "dass Karlmann ganz weit weg war". Prousts Schatten musste er erst mal abschütteln, sagt er, als er sich wieder an Karlmanns Geschichte machte. Und feststellte: "Prousts Lektionen kamen durch die Hintertür wieder rein."

Denn was blieb, war das Proust'sche Thema schlechthin - die Zeit. Wie und was sie verändert - das beeinflusste auch die Geschichte von Karlmann. Weniger in ihrem grundsätzlichen Plot, denn "95 Prozent des Bausatzes für ,Vaterjahre' waren schon da", sagt Kleeberg, aber in der Erzählweise. Charlys Geschichte der "Vaterjahre" hat er nicht mehr chronologisch - wie noch in "Karlmann" - aufgeschrieben, sondern in thematischen Kapiteln, in denen Kleeberg zeitlich hin- und herspringt, die Perspektive wechselt, sogar einen allwissenden Erzähler einbaut. Ganze sechs Kapitel auf 500 Seiten - mit drei wiederkehrenden Titeln,.

Dass er dieses "Erzählplasma", wie er es nennt, gewählt hat, diese "Freiheit des Zugriffs", hat wohl auch damit zu tun, dass ihm als Leser die gängige "Erzählmechanik" eher auf den Geist geht. Und wenn er auch noch nicht weiß, wann er sich ans Schreiben des dritten "Karlmann"-Romans macht - er ist sich sicher, dass er die Erzählweise, diesen "beständigen Strom der Sprache" des zweiten Buches beibehält.

Info Neumarkt 10, morgen, 19.30 Uhr, Eintritt acht Euro

(NGZ)
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