Neukirchen-Vluyn Syrer kreieren Unikate aus alter Kleidung

Neukirchen-Vluyn · Vier Schneider, die als Flüchtlinge nach Deutschland kamen, entwerfen in Neukirchen mit Designerin Ruth Braun eine Kollektion.

 Schneider Jaudat Sido und Modeschöpferin Ruth Braun bei der Arbeit im Nähzimmer an der Hochstraße in Neukirchen.

Schneider Jaudat Sido und Modeschöpferin Ruth Braun bei der Arbeit im Nähzimmer an der Hochstraße in Neukirchen.

Foto: Klaus Dieker

Sorgfältig zieht Jaudat Sido (37) den letzten Kreidestrich auf der grau-weißen Stoffbahn aus Wolle. Er legt das Schnittmuster beiseite, misst die Nahtzu-gabe ab. Es wird die Rückseite eines Hosenbeins werden, das ist sicher, doch wie das Kleidungsstück später genau aussehen wird, diskutiert er noch mit Ruth Braun (28): "Ich stelle mir Taschen aus Leder vor", erklärt Sido. Braun nickt nachdenklich, merkt an, dass Lederstreifen auf den Seitennähten gut aussehen würden. Da kommt Ghada Allaham (58) dazu, hält eine korallenfarbene, ausgestellte Jacke hoch.

Braun jubelt. "Endlich fertig!" Sie hält die Hand hoch und Allaham schlägt ein. Dass die Drei im vergangenen Jahr ein eingespieltes Team geworden sind, ist offensichtlich. "Seit wir die Schneiderwerkstatt ins Leben gerufen haben, hat sich viel verändert. Ursprünglich waren wir viel mehr Leute, doch einige sind abgesprungen, widmen sich nun anderen Arbeiten.

Vier Schneider aus Aleppo sind dabei geblieben und wir arbeiten toll zusammen. Heute sind nur Jaudat und Ghada da, weil die anderen Sprachkurse besuchen", sagt Braun und zieht die korallenfarbene Jacke über, an die Allaham vor einigen Minuten noch die letzten gleichfarbigen Knöpfe genäht hat. "Sonst arbeiten Rojin Barakat und Kamal Khalil auch hier an der Kollektion mit", fügt Sido hinzu. Als Braun sich im Spiegel betrachtet, nickt Sido anerkennend, Allaham strahlt. "So eine muss ich auch haben", sagt Braun und lacht.

Die Jacke ist ein Kleidungsstück der neuen Kollektion des Modellabels Hudhud der Tuwas-Genossenschaft, für die die vier Schneider mit Ruth Braun seit eineinhalb Jahren arbeiten. Aus alten Krawatten nähen sie Röcke, aus Herrenhemden werden ärmellose Damenblusen und Bettbezüge geben dank deren Nähkunst nun adrette Blumenkleider ab. Das alles wird am 23. September in der Maschinenhalle Patteberg präsentiert. Bis dahin gibt es noch viel Arbeit. "Wir müssen Kleidung für Herren schneidern, ich habe da eine Idee, die wir hoffentlich zur Modenschau umsetzen können", verrät Braun. Bald will auch das Fernsehen vorbeikommen und über das Modeprojekt im Nähzimmer berichten. Jaudat Sido, der hier neben der Näharbeit und seinen Modeentwürfen auch Hobbyschneider bei ihren Vorhaben berät, ist deswegen besorgt: "Ich spreche doch nicht gut genug Deutsch dafür, die verstehen mich dann gar nicht." Vor fünf Jahren kam er aus Aleppo nach Dortmund, lebte dort in einer Flüchtlingsunterkunft. Vor drei Jahren konnte er eine eigene, kleine Wohnung in Vluyn beziehen. Sein Deutsch ist gut, ab und zu macht er kleine Fehler, er spricht leise, aber verständlich. "Ach, Quatsch", meint Braun. "Du machst das toll."

Sido winkt ab. An seinen Sprachkenntnissen zweifelt er, obwohl er neben seiner Muttersprache Kurdisch auch Arabisch fließend spricht. Wenn es allerdings um seine Arbeit geht, blüht er auf. "Ich liebe mein Handwerk, es ist die schönste Arbeit der Welt", sagt er. In Syrien lernte er nach der Schule das Schneiderhandwerk von seinem Onkel, arbeitete zunächst für große Firmen in Syrien und im Libanon. 2008 eröffnete er mit seinem Bruder ein eigenes Geschäft in Aleppo, 2012 flüchtete er vor dem Krieg nach Deutschland. "Ich bin so froh, dass ich jetzt hier bin. Das ist mein Land geworden", erklärt er. "Auch wenn hier vieles so anders gemacht wird, als in meiner Heimat."

Sogar das Schneiderhandwerk unterscheide sich von dem in Syrien. "Kleine Nähmaschinen für den Haushalt gibt es dort nicht. Alles wird industriell angefertigt, mit großen Maschinen", sagt Sido. Braun nickt: "Ja, vieles geht damit schneller und einfacher. Jaudat hat mir letztens eine Kräuseltechnik mit der Maschine gezeigt, die ich gar nicht kannte." Und Sido habe bei ihr gelernt, wie man Knopflöcher näht. "Wir ergänzen uns sehr gut", resümiert die Modedesignerin.

Die Rückseiten der Damenhosenbeine sind nun fertig, Sido näht noch ein Labelschildchen in den Krawattenrock für eine Kundin, dann geht es zur Wiesfurthstraße - neue Stoffe holen. Vor der Modenshow muss alles fertig sein. Sidos Motivation: Er wird seine Mode zum ersten Mal auf dem Laufsteg sehen.

Kontakt: 02845 2961665, projektladen@tuwas-genossenschaft.de.

(jma)
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