Heimat genießen in Neukirchen-Vluyn Spitzenkoch mit Herz für die Heimat

Neukirchen-Vluyn · Gibt es eine Grafschafter Küche? Der Neukirchen-Vluyner Koch Roger Achterrath ist nach Reisen um die ganze Welt wieder an den heimischen Herd zurückgekehr und hat dort eine ganz eigene Antwort gefunden.

Heimat genießen in Neukirchen-Vluyn: Spitzenkoch mit Herz für die Heimat
Foto: Christoph Reichwein

Grafschafter Küche - Roger Achterath denkt bei dem Stichwort zurück an seine Großmutter. Er sieht Oma Lenchens Garten vor sich, in dem sie Sellerie, Stielmus, Schwarzwurzeln, Rote Beete Endivien, Kartoffeln zog. Er denkt an die Tage, an denen Schnibbelbohnen oder Zwetschgen eingekocht wurden. "Dabei hab ich als Kind richtig Spaß gehabt." Er denkt an den natürlichen "Kühlschrank" in Omas Garten. "Ein Loch wurde ausgehoben, befestigt und mit Sand angefüllt. Da kam das Gemüse rein und wurde abgedeckt." Und noch heute schüttelt's ihn, wenn er sich an den grauen, matschigen, Rosenkohl der Oma erinnert. "Sie hat ihn viel zu lange gekocht."

Auch wenn zwei Schwestern des Großvaters schon damals eine Gaststätte in Rayen geführt hatten: Die eigentliche Leidenschaft fürs Kochen im jungen Roger Achterath weckte Oma Lenchen. Der heute 48-Jährige machte daraus einen Beruf. Nach Lehr- und Wanderjahren in Bonn, Köln, Hamburg, London und Aachen kehrte der Rayener an den Niederrhein zurück und eröffnete 2002 in der Wirtschaft der Großtanten - das Haus ist seit 1771 in Familienbesitz - sein eigenes Restaurant, das "Achterath's". "Niederdeutsch-mediterran" nennt er seine Küche. Achterath liebt regionale Produkte und spinnt, wiewohl der gehobenen Küche verbunden, manche Idee weiter, die er an Omas Herd aufgeschnappt hat - interpretiert diese aber mit der "Leichtigkeit des Mittelmeerraums".

Grafschafter Küche, das sei für ihn gleichbedeutend mit Niederrheinischer Küche, sagt Achterath. Und da sei die Tradition ziemlich klar. "Es war eine weitgehend von Landwirtschaft geprägte Gegend." Das Volk war arm und ackerte hart. Auf den Tisch kam, was auf den Feldern - mitunter auch als Futter fürs Vieh - gedieh. "Kernige, robuste Pflanzen, die nicht viel Pflege brauchten: Steckrüben, Pastinaken, Zuckerrüben, Schwarzwurzeln, Grünkohl . . ." Deftig und mächtig mussten die Speisen sein, und nicht viel Aufwand erfordern. "Die Frau kümmerte sich um den Haushalt und die Kinder und schuftete noch im Stall und auf dem Feld mit, da blieb nicht viel Zeit zum Kochen", sagt Achterath.

Den Ursprung der in der Region beliebten Untereinander-Gerichte sieht er in ihrer Unkompliziertheit: "Eintopf bedeutete damals eben wirklich: ein einziger Topf kam auf den Herd und auf den Tisch." Für Endivien untereinander kann sich der Spitzengastronom heute noch begeistern. "Endiviensalat mit seinen festen Blättern eignet sich dafür besonders gut, beim Kochen verliert er auch seine sonst leicht bittere Note."

Auch Omas Steckrübeneintopf oder ihre Graupensuppe bleiben für den Küchenprofi unvergesslich. Steckrübensuppe kommt bei ihm ebenfalls auf den Tisch, in einer leichten Variante, mit Kartoffeln kombiniert, mit Weißwein, Zitrone, Cayenne-Peffer und Thymian abgeschmeckt. "Nicht so ein Kleister wie früher." Von der kulinarischen Qualität der Schwarzwurzel, dem "Spargel des armen Mannes", konnte Achterath ebenfalls schon manchen Skeptiker überzeugen. Sie wird bei ihm aber nicht zerkocht und in Mehlschwitze erstickt. "Wir braten sie kurz in Olivenöl an." Vor allem auf seiner Mittagstisch-Karte nehme er gerne Bezug auf die Tradition.

Und wie sieht's mit Fleisch aus? Blutwurst, Panhas oder Sauerbraten lassen sich wunderbar modern interpretieren, findet Achterath. "Das Säuern war früher nichts anderes als eine Konservierungsmethode", erklärt er. "Sauerbraten wurde nicht erfunden, weil jemand unbedingt saures Fleisch essen wollte." Achterath zaubert einen herrlichen Sauerbraten vom Hirschkalb, mit gebratenem Panhas garniert, als Beilage Pastinakenpüree. "Es ist relativ leicht. Pastinaken haben nicht so viel Stärke und sättigen nicht so stark." Die Sauerbratensoße schmeckt er mit Rübenkraut ab und bindet sie mit Pumpernickel. Bei Gästen und Kochkursteilnehmern kommen bodenständige und doch raffinierte Gerichte gut an. "Letzte Woche habe ich bestimmt 100 Rouladen verkauft", freut sich der Koch. "Ich mach sie genauso wie Oma Lenchen, mit Gurke, Speck und Zwiebel, in einer leichten Rotweinsoße. Wenn jemand mir sagt, das schmeckt wie früher, dann ist das für mich das schönste Kompliment."

(RP)
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