Neukirchen-Vluyn Hier wird noch richtig Platt gesprochen

Neukirchen-Vluyn · Nur noch wenige Menschen sprechen Mundart. Die beiden Heimatvereine halten Tradition jedoch aufrecht.

 Einmal im Jahr treffen sich Plattfreunde aus Neukirchen-Vluyn zum Mundart-Nachmittag.

Einmal im Jahr treffen sich Plattfreunde aus Neukirchen-Vluyn zum Mundart-Nachmittag.

Foto: Reichwein

Einmal im Jahr ist die Mundart-Welt von Neukirchen-Vluyn wieder ganz in Ordnung, fast wie in alter Zeit. Dann tun sich die Plattfreunde der beiden Heimat- und Verkehrsvereine zusammen und laden zum "Mundart-Nachmittag" ein. Zu hören gibt es dann "Gedeechte" und "Vertellstöcksken". Außerdem treffen sich regelmäßig Freunde (und Freundinnen!) der Mundart zum Stammtisch in den Dürer-Stuben. Dann wird zum Beispiel darüber gefachsimpelt, was ein "Strunzbuel" ist. Könnte ein deftiges Schimpfwort bedeuten, aber auch eine deftige Speise. In diesem Fall stimmt das Erstere: Der "Strunzbuel" ist ein Aufschneider, ein Prahlhans.

Zu den regelmäßigen Teilnehmern des Stammtisches gehört auch das Ehepaar Gerda und Heinz Marten aus Vluyn. Letzterer ist zugleich Leiter des Mundartkreises im Heimat- und Verkehrsverein Vluyn. Er ist noch mit dem Dialekt aufgewachsen. "Meine Eltern und unsere Nachbarn sprachen Platt, wenn man sich besuchte, wurde nur Mundart gesprochen. Aber das ist vorbei." Immerhin hat Marten aus dem Elternhaus noch viel Gefühl für das Platt mitbekommen. "Allerdings kommt es vor, dass ich vor einem Vortrag mal nachschlagen muss, wie dieses oder jenes Wort ausgesprochen wird." Ein solches Nachschlagewerk ist beispielsweise Arnold Klüvermanns "Rheinische Mundart".

Plattfreunde wie das Ehepaar Marten wissen, dass sie einen noblen, aber vermutlich aussichtslosen Kampf führen - die Mundart stirbt nach und nach aus. Und damit auch zahllose Nuancen, die es einem Experten erlaubte, den "Sound" einzelner Ortschaften am Niederrhein zu unterscheiden. Wie ein Moerser sprach oder wie ein Vluyner redete, das war für die Kenner gut unterscheidbar.

Doch wer ist verantwortlich für den Niedergang der Mundart? Das Fernsehen mit seinem Standarddeutsch? Eine mobilere Gesellschaft? "Letztlich liegt es daran, dass man eine Sprache sprechen können muss", meint Heinz Marten. Es gebe ja einige Versuche, Kindern und Jugendlichen das Mundart-Erbe nahezubringen, beispielsweise in den Schulen, durch Lesewettbewerbe. Und es gibt, beispielsweise in Rheinberg, noch immer gut besuchte Aufführungen von Stücken im regionalen Platt.

Der vorherrschende Dialekt in der Region um Moers ist das Grafschafter Platt. Sprachwissenschaftler ordnen es dem "Kleverländischen" oder "Nordniederfränkischen" zu, das am nördlichen Niederrhein, im westlichen Ruhrgebiet und in einem schmalen Streifen des Bergischen Landes, der sich bis etwa Gummersbach zieht, gesprochen wird - oder wurde. Diese Dialektgruppe ist eng verwandt mit dem Niederländischen. "In den vergangenen Jahrzehnten sind im Platt auch viele Wörter aus dem Ruhrpottdialekt hinzugekommen", sagt Heinz Marten. Doch die Sprache verändert sich weiter und macht auch vor dem Großstadtdialekt der Ruhrmetropole nicht halt. "Wer weiß, ob man in einigen Jahren noch ein Wort wie ,malochen' benutzt?"

In Zusammenarbeit mit den beiden Heimat- und Verkehrsvereinen startet die Rheinische Post heute mit einer neuen Rubrik: "Schimpfwort oder Speise" heißt sie und erscheint ab sofort immer freitags im Grafschafter. Wir stellen dabei immer ein Wort vor, das entweder etwas zu essen ist - oder eine Beleidigung. Die erste Folge von "Schimpfwort oder Speise" finden Sie links auf dieser Seite unterhalb dieses Artikels. Für die Auflösung müssen Sie die Zeitung auf den Kopf drehen.

(s-g)
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